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Wie Alrik ein Abenteurer wurde
Insel Thelessa, irgendwo zwischen Vierwegen und Semjan.
Thelessa. Hierhin hatte es Alrik-ohne-einen-richtigen-Namen also verschlagen. Es hatte den jungen Mann nicht interessiert, wo das Schiff anlegen würde, auf das er sich als blinder Passagier geschlichen hatte. Wichtig war nur gewesen, von dem Ort zu entkommen, an dem der Segler abgelegt hatte.
Und so streifte Alrik nun über die Insel, immer nach einer Möglichkeit Ausschau haltend, genug Groschen zu verdienen, um den nächsten Tag zu überleben, ohne sich dabei zu fest an einen Ort zu binden.
An einem dieser Tage sprach er einen Greis an, der am Wegesrand stand. Kaum hatte Alrik sein "Lhaja zum Gruße" ausgesprochen, brach ein ärgerlicher Wortschwall über ihn herein, der in der Feststellung kulminierte:
"Diese Insel braucht noch mehr jungspündige Abenteurer wie... wie..."
Dem alten Mann schienen die Worte zu fehlen. Aber die Sonne schien, Alrik hatte gut gegessen und fühlte sich daher zu gut, um den Ärmsten weiter herumstammeln zu lassen. Daher sprang er hilfreich ein: "Wie Warzen!"
Dabei handelte es sich vielleicht nicht um die einfallsreicheste Antwort, doch sie erschien dem jungen Mann passend. Zur Bekräftigung seiner Worte nickte er noch einmal und fügte hinzu: "Ja, das finde ich auch."
In Wirklichkeit war es ihm egal. Alrik kannte weder Abenteurer persönlich, noch kannte sich gut genug auf der Insel aus, um beurteilen zu können, ob ein Zustrom an Abenteurern nun gut oder schlecht für Thelessa wäre.
Er wollte einfach nur höflich sein. Hätte der Südsterner ahnen können, was er mit seinen unschuldigen Worten auslöste? Eine Schimpfkanonande, die bis nach Vellhafen zu hören war?!
Als dem Greis die Worte ausgingen, schlug er mit seinem Stab nach dem völlig baff vor ihm stehenden Besucher der Insel. Alrik schnappte nach Luft. Was bei allen Göttern hatte er denn bloß falsch gemacht?
"Mach! Dich! Nie! Wieder! So! Lustig! Über! Mich!"
Alrik war praktisch mit mehr Prügeln als Grütze großgezogen worden, die paar Hiebe mit dem Stock schreckten ihn weder, noch schmerzten sie sonderlich. Was weh tat, war die Demütigung, denn die Attacken fühlten sich eher nach einer Bestrafung als einem Angriff an.
Irgendwas habe ich grundfalsch gemacht... autsch.
"Aber wenn du schon selbst einsiehst, dass du hier nicht erwünscht bist..." keuchte der Alte.
Alrik lächelte. "Ach so! Ihr habt mich für einen Abenteurer gehalten!" sprach er erleichtert.
"Was willst du denn sonst sein, hm?"
"Ich..." Alrik stockte. Verdammt! Was sollte er antworten? Dass er ein flüchtiger Sklave sei, der stets auf der Hut sein musste, nicht eingefangen und in die Arena zurückgeschleift zu werden? Nein, es gab Umstände, unter denen man iatangefällige Wahrheit besser für sich behielt.
"Doch, na klar, ich bin ein Abenteurer", "gestand" der junge Mann daher. Dann sah er zu, dass er Fersengeld gab, denn so zerbrechlich alte Leute oft wirkten, so zäh musste jeder sein, der dieses Alter erreicht hatte. Besonders in diesen ungesunden nördlichen Breiten!
Seinen Weg fortsetzend sprang Alrik gekonnt über eine Pfütze. Sein Körper erledigte die Bewegung von selbst. Die Beine und Hände, ja, selbst die Sinne waren auf Automatik geschaltet (ein sehr treffender Zwergenausdruck, das Alrik einmal aufgeschnappt hatte). Seine geistige Kapazität benötigte der junge Mann, um sich über diese Abenteurer-Sache klar zu werden.
Natürlich kannte er das Wort. Es gab Liebesabenteuer, Ritter zogen auf Aventüren aus und dergleichen mehr. So etwas passierte ständig in Märchen, dafür waren es ja Unterhaltungsgeschichten!
Doch hier im Norden wurde offenbar jeder, der sein Haus verlies, von der Bevölkerung unterschiedslos zum Abenteurer erklärt, ob es sich nun um Gesellen auf der Walz, fahrende Musikanten oder Vogelfreie handelte.
Es war ja nicht der alte Mann, bereits vorher hatten einige Inselbewohner und sogar eine (überaus bunt zusammengestellte) Reisegruppe aus fernen Landen Alrik ganz selbstverständlich als einen Abenteurer angesprochen.
Der Südsterner wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Ja, er hatte die eine oder andere abenteuerliche Situation überstanden, doch sah er sein Lebensziel nicht daran, gezielt noch mehr davon zu suchen. Man bereitete sich so gut man konnte darauf vor, derartige Ausnahmesituationen zu meistern, aber wer, der noch bei gesundem Verstand war, würde die Suche danach zum Selbstzweck erklären?!
Oder täuschte sich Alrik und all diese Menschen zogen tatsächlich aus, um sich bewusst in Gefahr zu begeben? Passierte das, wenn man zu behütet aufwuchs? Ging es den Menschen hier zu gut, oder was?! War die Abenteuersuche in diesem Fürstentum vielleicht ein Volkssport? Erwartete man von seinem Nachwuchs, sich eine Weile als Abenteurer zu betätigen, bevor man diesen zu einem mündigen Mitglied der Gesellschaft zu erklären bereit war?
Die spinnen ja, die Thelesser! Sei es, wie es sei, dieses merkwürdige Steckenpferd verschafft mir eine wundervolle Rechtfertigung dafür, mich schwer bewaffnet weit weg von zuhause herumzutreiben.
Alrik grinste in sich hinein.
Von jetzt an bin ich dann wohl ein Abenteurer. Klingt doch deutlich besser als mittelloser Herumtreiber oder Flüchtling.