Nördlich von Salzklamm gibt es eigentlich nur dichten Wald. Zu dieser Jahreszeit findet man allerdings auch eine Menge Schnee - an wärmeren Tagen gerne matschig, an kälteren gefroren. Auch erwähnen muss man den Pfad durch den Wald, der nach Kirchflecken führt oder führen soll. Eine beliebte Abkürzung unter Köhlern oder anderem Waldvolk, das nicht auf die Annehmlichkeiten der Reichsstraßen angewiesen ist. Selbst der dichte Wald mit all seinen Bäumen versperrt nicht immer den Blick auf die Bergketten im Osten, welche die Grenze zum Grauland markieren und außerdem einen willkommenen Orientierungspunkt für etwaige Wanderer bieten können.
Kommen wir aber erstmal zurück zu dem Pfad und jener Gestalt in dicker Wollkleidung, die ihn benutzt. Was den Pfad betrifft, so ist fast alles gesagt. Abseits von besonders enthusiastischen Matschliebhabern und den Bewohnern dieser provinziellen Gegend, hat er wohl einfach keine besonders große Anziehungskraft und darauf allerdings kommen wir gleich noch zurück. Erst betrachten wir den dreckigen Umhang und die gebeugte Gangart des erwähnten Wanderers, der sich übrigens Dankward nennt. (Genaugenommen nennt er sich meist einen lustigen Spielmann, aber zu genau wollen wir es im Moment noch nicht nehmen.)
Der lustige Spielmann hat seine liebe Mühe mit dem matschigem Untergrund, der beißenden Kälte und der auch ansonsten im Winter eher lebensfeindlichen Gegend. Zur Abwechslung von dem ganzen Schnee haben ihm die Götter allerdings heute etwas Schneeregen beschert und so wird sein Umhang im gleichen Maße immer schwerer, um so mehr er das frische Wasser, das zwischen den Baumkronen hinabfällt, in sich aufsaugt. Das selbe Prinzip gilt für seinen Rucksack und seine Stiefel, will noch angemerkt sein, ehe wir endlich zum Punkt kommen.
Der Punkt ist nämlich, dass Dankward trotz all dieser Umstände guter Laune ist. Das liegt nun daran, dass er etwas entdeckt hat, das bekanntlich nur Gutes bedeuten kann, eine Taverne nämlich. Wer jetzt diese hier auf die Waldlichtung gestellt hat, das schert ihn wirklich kaum. Ihn interessiert lediglich der Rauch, der aus der Dachöffnung dringt. Und wo Rauch ist...nun, das weiß wohl jeder und muss nicht erklärt werden. Für ihn muss es zwar wie gesagt nicht sein, aber wir erklären uns nun trotzdem, woher diese Taverne kommt und was es jetzt eigentlich mit der Anziehungskraft des wenig gangbaren Pfades auf sich hat.
Dafür muss kurz von Rosa berichtet werden. Sie war eine gutmütige und tüchtige Geschäftsfrau aus Finsterbrück, die eines schicksalhaften Tages einen Verwandten in dieser Gegend besuchte und fand, dass der Waldpfad doch ein idealer Ort für eine Taverne sei. Viel harte Arbeit und einige eingeforderte Gefallen später entstand also mitten auf der frisch zu diesem Zweck gerodeten Lichtung ein kleines Häusschen aus Holz und Stein. Damit es jeder als einen Ort erkennt, an dem man einkehren kann, hing man ein Schild dran. Auf dem steht: Rosas Hütte. Dieses Schild betrachtet im Moment auch Dankward und während er noch damit beschäftigt ist, sein Glück zu begreifen, wollen wir noch mehr von Rosa erzählen.
Sie starb nämlich schon vor vielen Wintern im Kreise ihrer Liebsten. Ihre Taverne aber die blieb bestehen und wird von ihrem Sohn Krautwin geführt. Der allerdings ist weder sonderlich gutmütig, noch sehr tüchtig. Aber eine gewisse Schläue ist ihm nicht abzusprechen, mancher würde von Verschlagenheit reden. Da so eine Taverne mitten im Wald nämlich nur wenig Kundschaft hat, erdachte er sich eine List, auf die auch Dank hereingefallen ist.
Eines Tages ging Krautwin entgegen seiner sonstigen Art den Pfad selbst entlang. So weit ging er, dass er Salzklamm erreichte, wo der Pfad auf einen befestigen Weg trifft. Und dann ging er zurück und hielt nicht an, als er Rosas Hütte erreichte. Er ging weiter bis er wieder ans Ende des Pfades kam, diesmal ans andere Ende in Kirchflecken. An beiden Orten vollführte er den selben hinterhältigen Trick. Er stellte einen neuen Wegweiser auf und auf diesen schrieb er die Namen all der großen Orte, die er einmal gehört hatte. Ob Sonnenburg oder Kaiserstein, Surquell oder Retaria, der Weg zu einer reichen Auswahl an Orten führt unbedarfte Wanderer plötzlich über den alten Waldpfad. Gebracht hat es nicht unbedingt sehr viel, denn die meisten Leute auf der Straße kennen entweder die Gegend oder sind nicht unbedarft genug, um auf diesen Trick des Wirtes hereinzufallen. Immer wieder aber kommt jemand wie Dank vorbei, den es von weit her in die Gegend verschlagen hat und der in Anbetracht von garstiger Witterung oder aufgrund anderer Umstände nicht zweimal nachfragt, wenn da auf einem Schild sein Zielort steht. Selbst dann, wenn er falsch geschrieben ist.
"Guten Abend?", grüßt Dankward zaghaft, während er durch die Tür tritt und sieht sich im schlecht beleuchteten Schankraum um, doch in dem stehen lediglich zwei unbesetzte Tische mit ein paar Stühlen und eine alte Bank. So etwas wie einen Tresen scheint es nicht zu geben, aber eine Tür scheint in einen weiteren Raum zu führen und diese öffnet sich soeben, damit Krautwin hindurch treten kann. "N'abend. Willkommen in der Hütte, was'ols sein?", nuschelt er sich zurecht und beäugt den Gast kritisch.
Dank zieht der Höflichkeit wegen die Kapuze vom Kopf und schielt zur Feuerstelle in der Mitte des Raumes, über der ein großer Kessel festgemacht ist. Er schiebt das schwarze Haar erstmal aus dem Gesicht zurück auf den Kopf, wo es hingehört und neigt selbigen. "Essen und Schlafen, das würd ich gern, guter Mann. Vielleicht noch was trinken.", lässt er den Wirt wissen, der nickend zurückgrunzt: "Hast' Münzen?"
"Gewiss.", versichert Dank und klopft kurz gegen die Geldkatze am Gürtel, die allerdings zum größten Teil mit Groschen und Knöpfen gefüllt ist, aber das scheint ihm derzeit nicht ratsam zu erwähnen.
"Hmgut. Setz dich ans Feuer. Gibt Eintopf, bedien dich selbst!", meint der Wirt. Während Dankward sich nicht zweimal bitten lässt und sich nahe beim Feuer auf die Bank setzt, brummt Krautwin, dass er noch Holzhacken müsse und hinter der Hütte sei. Daraufhin ist Dank allein im Raum. Während er sich eine Schale mit Eintopf aus dem Kessel füllt, entdeckt er in der rückwärtigen Ecke des Raumes auch ein paar Decken und Felle auf dem Boden. Vermutlich wird er dort heute nächtigen, sofern es keine Probleme gibt. "Sieht doch gemütlich aus.", findet Dank und lächelt, um kurz darauf zu löffeln. Irgendein Gemüseeintopf stellt er erfreut fest. Der Geschmack erinnert stark an Wasser, aber er mochte Wasser eigentlich schon immer. Etwas Brot wäre allerdings nett, aber auch nach zweimaligen Umschauen, kann er keines im Raum entdecken. Dafür fallen ihm jedoch die Wandmalereien auf dem Holz und den Balken auf. Eher einfacher Natur, aber doch auf ihre Art schön, lautet sein Urteil.
Nach der ersten Schale, entscheidet er sich für eine Pause, um den Magen nicht zu überreizen und befühlt sein rechtes Auge. Immernoch etwas dicker und was er nicht sehen kann, immernoch in verschiedenen Farbtönen einfacher Natur gehalten. Hauptsächlich schwarz und lila. Ein Missverständnis hat Dank diese Trophäe eingebracht, allerdings lag dieses hauptsächlich auf seiner Seite. Er hatte schlichtweg nicht erwartet, dass der Bauer wegen ein paar Rüben sofort zuschlagen würde, aber er hatte es getan. Dieses Ereignis liegt nun ein paar Tage zurück, aber vorläufig markiert es Beginn und Ende seiner Diebeskarriere.
Etwas umständlich schält sich der junge Mann aus seinem Umhang und legt ihn neben sich auf die Bank, damit er trocknen kann. Der Umhang ist braun, so wie der Großteil seiner Kleidung, obwohl viel davon einst weiß war. Das liegt allerdings schon eine Weile zurück und er mag Braun ohnehin recht gern. Gerne wüsste er, wie weit der Tag eigentlich vorangeschritten ist, aber das ist einfach schwer zu sagen, wenn nicht gerade völlige Dunkelheit herrscht und selbst die herrscht in diesem Wald zu dieser Jahreszeit manchmal auch mitten am Tage. Das glaubt Dank zumindest, denn genau weiß er es ja wie gesagt nicht. Müde ist er jedenfalls, müde und erschöpft. Da ist die Taverne hier wirklich ein ausgenommener Glücksfall, das muss er schon sagen. "Ja, ich bin ein ziemlicher Glückspilz.", lautet die Einschätzung des Spielmannes. Gerne würde er um diesen Anlass gebührend zu feiern ein Lied auf seiner Laute anstimmen, wenn man sie ihm nicht genommen hätte. Ein weiteres unglückliches Missverständnis. Aber noch hat er ja die Flöte, erinnert er sich und beginnt in seinem Rucksack zu kramen. Es dauert nicht lange und dann spielt er - die nassen Hemdsärmel hochgekrempelt - eine leise, aber fröhliche Melodie auf seiner Bank nahe der Feuerstelle in Rosas Hütte.