"Mein Name ist Richârd," beginnt der großgewachsene Junge zu erzählen, den du soeben durch Zufall kennengelernt hast. Während du am Stand eines Händlers tief damit beschäftigt warst, diesen zu überzeugen, dass sein Preis für ein neues Hemd viel zu hoch wäre, hatte sich am anderen Ende der Straße, oben auf dem Hügel, unbemerkt von den Meisten ein Fass von dem Ochsenkarren gelöst und war hinab gerollt, stetig schneller werdend und genau auf den Marktstand des Händlers und dich zurasend. Im letzten Moment hatte Richârd das drohende Unheil von Rand des Brunnens bemerkt, auf dem er gesessen war um einen Kanten Brot zu verspeisen, und war auf euch zugestürmt, um dich gerade noch zur Seite zu stoßen, bevor das schwere Fass mit einem gewaltigen Schlag in den Stand einschlug und diesen zerschmetterte. Der Händler blieb glücklicherweise ebenfalls unverletzt, doch in seinen Augen spiegelte sich der Zorn auf den unachtsamen Bierkutscher, dem er sogleich wild schimpfend hinterher lief. Du jedoch erhobst dich aus dem Staub, klopftest deine Kleider ab und zucktest erleichtert darüber, dass niemandem schlimmeres passiert ist mit den Schultern. Dann ludst du den Jungen zu einem Bier ins Gasthaus ein, wo ihr nun sitzt und euch unterhaltet.
"Ich bin der Sohn von Parthálan, Ritter zu Athoshagen..." der Junge stockt und senkt den Blick, ehe er fortfährt:
"Ich war sein Sohn."Du erinnerst dich an eine Geschichte, die sich vor gut und gerne vier Jahren in der Grafschaft Obien zugetragen hatte. Jener Ritter, dessen Sohn nun vor dir sitzt, war vom Grafen zum Tode verurteilt worden, nachdem der Edle Perceval von Hermelyn und der Hohepriester Valeran von Obfurt ihn des Verrats am Grafen überführt hatten. Die Frau des Ritters wurde ebenfalls angeklagt, man warf ihr Hexerei vor, und sie musste zusammen mit ihren Kindern in die Wildnis flüchten. Das Lehen Athoshagen wurde darauf hin zum Dank vom Grafen an die Familie von Hermelyn verliehen. Sollte dieser Junge, der dich vor wenigen Augenblicken gerettet hat, nun tatsächlich ein Sohn des Verräters Parthálan sein?
"Schaut nicht so!" raunt dich Richârd an.
"Es war eine Intrige, beim Grab meines Vaters. Perceval von Hermelyn steckte dahinter, möge er ewig in der Hölle schmoren! Mein Vater war dem König und dem Grafen stets ein treuer Gefolgsmann, bei Athos und Iatan. Und meine Mutter ist wahrlich keine Hexe. Sie haben dies alles nur erfunden, um sich das Lehen unter den Nagel zu reißen. Nun sitzt Wilbert auf dem Stuhl meines Vaters, nachdem Perceval so überraschend von ihnen gegangen ist."Bei Wilberts Namen fasst Richârd sich an sein rechtes Ohr. Sein Gesicht verzerrt sich für einen kurzen Moment zu einer Grimasse voll Schmerz und Hass. Du erkennst unter den dunkelbraunen Strähnen von Richârds welligem Haar, dass das Ohr verstümmelt ist, halb abgeschnitten, und die Wunde schlecht verheilt und daher stark vernarbt.
"Wilbert war das," berichtet Richârd weiter.
"Als sie uns das Gut nahmen griff er mich an und schlug mich nieder. Ich war zu schwach um ihm etwas entgegensetzen zu können und so hielt er mich am Boden fest und nahm mir mein Ohr. Doch dies soll das Letzte sein, was er mir und meiner Familie raubte, bei Athos! Ich sage Euch, ich werde nicht ruhen, bis ich diesen Betrug aufgedeckt und meines Vaters Ehre wiederhergestellt habe. Und ich werde nicht ruhen, bis Wilbert und seine dreizehn Mal verdammte Hure von einer Mutter von dem Grund vertrieben sind, der so lange meiner Familie gehört hat."Fast schon war die Stimme Richârds aufbrausend geworden, doch nun senkt er sie wieder merklich und fährt fort, nachdem er sich kurz im Gasthaus umgeblickt hat:
"Ich muss es nur schaffen, ein Ritter zu werden und Athos und des Grafen Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, vielleicht sogar des Königs. Nur... leicht gesagt, nicht wahr? Ich muss irgendwie an Gold kommen, damit ich mir ein Schwert, eine Rüstung und ein Pferd leisten kann. Aber wer gibt schon dem Sohn eines Verräters Arbeit, nicht wahr?"Tatsächlich sieht die Kleidung des Jungen ziemlich heruntergekommen aus und du denkst dir, dass ihm wohl etliche hundert Gulden fehlen sollten, um sich die Ausrüstung eines Ritters leisten zu können. Und damit war es ja noch nicht genug. Ein Schwert zu besitzen und ein Schwert führen zu können waren zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Kampferprobt sieht Richârd nun ebenfalls nicht wirklich aus in deinen Augen.
'Armer Junge...,' denkst du dir.