"Endlich", dachte er bei sich, als die feine Linie am Horizont dunkler wurde und bestätigte, was der Mann im Auguck durch den lauten Ausruf
'Land in Sicht' ankündigte. Nach unzähligen Tagen auf den schaukelnden Planken der schnittigen Trireme lag endlich das Ziel der Reise vor ihnen. Nach zwei wilden Stürmen, die das Schiff beinahe zum Kentern gebracht hatten, einer aufregenden Flucht vor Piraten und der erfrischenden Begegnung mit einem Händler aus dem fernen Auretanien, hatte er zwar noch immer kein wirklich gutes Verhältnis zur See und war froh, lebend und unbeschadet anzukommen, zumal es keinen anderen und schnelleren Weg von Nova Cataia nach Vellhafen gab. Er hatte überlegt, ob er sein neu erworbenes, kleines Vermögen tatsächlich für die teurere aber schnellere Überfahrt ausgeben oder doch lieber sparen sollte, hatte sich dann aber für die schnellste Variante entschieden, da der Vorsprung auf den flüchtigen schon groß genug war und jede Verzögerung die Wahrscheinlichkeit steigerte, die Spur nicht mehr aufnehmen zu können.
Nach den Strapazen gönnte er sich einen langen und entspannenden Besuch beim Barbier und in der Therme, ging gutgelaunt zu seinem bevorzugten Schneider und liess sich neu einkleiden. Dieses Mal entschied er sich für einen edlen Gehrock, auch wenn er die Funktionalität in Frage stellte. In dieser Verkleidung nahm er sich ein Zimmer im Gasthaus
'zum Goldstück' und liess den Tag vorrüber ziehen. Bei dem tags darauf folgenden, ausgedehnten Frühstück hatte er den
'Vellhafener Kurier', eine viel versprechende, neu erschienene Zeitung entdeckt und es geschafft, dort tatsächlich als Reporter unter Vertrag genommen zu werden. So würde er sogar die Informationsquellen der Zeitung nutzen können, um die Spur wieder aufzunehmen.
In der Verkleidung des unauffälligen, aber schmuddeligen und irgendwann nach Fisch stinkenden Hilfsarbeiters hatte er versucht am Hafen beim Verarbeiten von Fischen Informationen zu sammeln, doch auch nach einer Woche Fischgestank, Raufereien und zudem schlecht bezahlter Arbeit, hatte er ausser dem penetranten, anhaftenden und ihn verfolgenden Gestank nichts erreicht. Sein Arbeitgeber, Chefredaktuer Harmi Wirsch, ein sympathischer, etwa doppelt so alter Mann, hatte ihm ein paar Hinweise und Tipps gegeben, wo er seine Suche anfangen könnte. Ausgestattet mit einer kleinen, aus festem Papier bestehenden, bedruckten Karte, die ihn als Mitarbeiter des
'Vellhafener Kuriers' bezeichnete und nach einem ausgiebigen Bad mit Duftölen, einem neuen Gehrock und der Hoffnung, bald auf eine Spur zu stoßen, betrat er die Strassen Vellhafens.
Der Markt. Eine wirre Ansammlung von Verkaufsständen und Händlern, die allerlei Kuriositäten feilboten. Je nach Tageszeit herrschte hier ein unterschiedlich starkes Gedrängel und immer hatte er das Gefühl, nur von Taschendieben und Betrügern umgeben zu sein. Er schob sich durch das Gedrängel, von Stand zu Stand, auf der Suche nach dem Informanten, von dem er wusste, daß er in der zweiten Reihe einen Stand haben sollte. Es musste wohl ein recht zwielichter Typ sein, denn er verkaufte wohl auch Dinge wie Rauschkraut, Traumpilze und ähnliche Substanzen. Suchenden Blickes und eine Hand am Geldbeutel, schob er sich durch die drängelnde Menschenmasse, während er sich mit dem Spazierstock in der anderen Hand, einen Weg bahnte. Während er sich noch darin übte, möglichst unauffällig zu sein und den interessierten Marksbesucher zu geben, fiel sein Blick auf eine Reihe alter Bücher. Neugierig blätterte er darin herum, während der Besitzer ihn mit einer Mischung aus Argwohn und Freude musterte. Zwischen den Seiten rutschte ein Stück Pergament hervor, das auf den ersten Blick aussah, wie eine alte Karte. Erschrocken blickte er zum Händler auf, der sich allerdings gerade um die andere Seite seines Standes kümmerte und von dem Vorfall nichts mitbekommen hatte. Einen Moment zögerte er, entschied sich dann aber dagegen, das Blatt in seine Tasche zu schmuggeln und den Stand zu verlassen. Ob des Buches oder der Karte begann er stattdessen glaubhaft mit dem Händler zu feilschen und am Ende glaubte jeder, vom anderen überforteilt worden zu sein. Mit dem Buch
"...." im Arm setzte er seinen Weg fort.
"Vielleicht war das Ganze auch nur ein Trick des Händlers und die Karte eine Fälschung", kam es ihm in den Sinn. Er würde eine Bibliothek aufsuchen und ein paar Leute befragen, die sich mich soetwas besser auskennen. Wenn in dieser Hinsicht alles erfolglos bliebe, würde sicherlich Harmi Wirsch jemanden kennen, der ihm weiter helfen könnte.
Er versuchte erfolglos den Gedanken über das Buch beiseite zu schieben und sich eher auf sein aktuelles Ziel zu konzentrieren. Die zweite Reihe mochte ja nicht so schwer zu finden sein. Schlimmstenfalls hatte er den Markt von der gegenüberliegenden Seite betreten und würde etwas länger suchen müssen. Nach einer Weile hatte er tatsächlich den Stand ausgemacht. Wahrscheinlich war jemand von der Stadtwache an dem Geschäft beteiligt, denn dem Mann, den Auslagen und vor allem seiner Kundschaft war anzusehen, daß der Trödel auf der Auslage nicht Ziel des geschäftigen Treibens und der leise geflüsterten Unterhaltung sein konnte.
Das Geflüster brach ab, als er sich dem Tisch näherte und der schmierige Kunde tauchte geschickt und schnell in der Menge unter.
"Und, wie läuft das Geschäft?", nickte er dem Händler hinter dem Tisch zu.
"Oh, sehr ganz schlecht", antwortete der Mann mit einem harten Akzent.
"Niemand mochte dies feine Dinge kaufen", sagte er mit gespielter Trauer, während er mit ausladender Geste auf den Trödel zeigte.
"Vielleicht finde ich ja etwas, das mir gefällt. Ich bin auf der Suche nach etwas besonderem. Aus dem Süden.", antwortete er, wobei der letzte Teil des Satzes beinahe wie eine Frage klang. Er sah sich die Auslage näher an.
"Was ist das?", frug er mit einem Teil echter Neugier und zeigte auf einen breiten, verbogenen Haken mit einer Lederschnur daran. Das Ding starrte vor Schmutz und sah aus, als wäre es gerade erst aus dem Müll gezogen worden.
"Ah, das nix für. Das besser", schüttelte der Händler den Kopf und hob eine hässliche Zinnstatue hoch und streckte sie ihm fast wie eine Relique entgegen.
"Oh, wieviel soll dieses edle Stück denn kosten?", rief er mit fast übertriebenem Eifer laut aus.
"Nur 500 Gulden. Ist wertvoll! Kostet sonst 800 Gulden, aber ich dich gut leiden, mache ich dieses toll Angebot", lächelte der Händler und blickte ihn überzeugend an.
"Hm", brummte er nur. Ob das der heutige Kurs für Informationen war? Davon hatte Harmi Wirsch nichts gesagt und er konnte sich auch nicht vorstellen, daß er so viel bezahlen würde.
"Einen schönen Gruß vom 'Kurier'
soll ich bestellen", lächelte er und versuchte damit durchblicken zu lassen, wer ihn geschickt hatte und um so einen Informationsrabatt zu erhandeln.
"Ah, du Kurier", nickte der Händler und stellte die Statue zurück.
"Was wollen?" "Ich suche jemanden." Der Händler gluckste:
"Du suchst jemanden? Gefunden Du hast jemanden, würde ich sagen...". Dann nickte er ihm mit einem leerem Blick zu.
"Einen hellhäutigen Mann. Muss vor einiger Zeit aus dem Süden gekommen sein." Da der Händler keine Reaktion zeigte, ergänzte er:
"Aus dem Dschungel? Vielleicht über Nova Cataia? Im Süden?" Der Händler blickte ihn dümmlich an und schüttelte leicht den Kopf:
"Jeden Tag kommen Leute aus Süden. Warum du suchen?" Er seufzte innerlich tief und begann zu erklären:
"Im Dschungel wurde ein Schamane vom Stamm der..." Er grübelte nach. Wie war das noch gleich gewesen? Es war kein Farn-Schamane gewesen, daran konnte er sich genau erinnern. Hatte er überhaupt nach dem Stamm gefragt? Am Ende war das sowieso ein eher unwichtiges Detail, also schloß er:
"...wurde ein Schamane ermordet. Einer der Mörder ist nach Vellhafen geflohen, habe ich gehört." Er verschwieg, daß von den vier hellhäutigen Männern wohl nur noch einer lebte, während die anderen im wahrsten Sinne des Wortes, einen Kopf kürzer gemacht wurden.
"Du nicht Stadtwache? Du nicht Büttel! Du Kurier. Warum du also suchen?" Er zuckte mit den Schultern:
"Das ist nicht dein Problem." In wirklichkeit hatte er darauf tatsächlich keine Antwort. War es, weil er dem Wilden versprochen hatte, ihn bei seiner Suche zu unterstützen? War es eine Art Gerechtigkeitssinn oder Mitleid oder tief verborgene Rachegefühle? Immerhin wusste er sehr genau, was der Wilde mit dem Mann anstellen würde, wenn er ihn zu fassen bekäme. Wäre ein Mord an einem Mörder gerecht? Er schob den Gedanken zur Seite. Darum würde er sich kümmern, wenn es soweit wäre.