Blut und Klauen, Teil 1
Ein kalter Herbstabend vor fünf Jahren, tief in den Wäldern der Grafschaft Eichenstein.
Eine gespenstische Ruhe liegt an diesem Abend über dem dichten Wald. Die Stämme der uralten Eichen wirken wie Säulen eines riesigen Tempels, das fahle Licht der Monde bricht durch das dichte Blätterdach. Das ungleiche Duo, das sich mühsam seinen Weg durch die Büsche und Sträucher bahnt, kommt nur langsam voran. Der übergewichtige Priester flucht jedes mal laut, wenn er über eine Wurzel stolpert. Nie wieder wird er einen Fuß in diesen rückständigen Winkel des Königreichs setzten, das hat er sich seit seinem Aufbruch in Mahburg schon zigfach geschworen. Diese Hinterwäldler in Waldheim würden sich einen anderen Geweihten für ihren Tempel suchen müssen, damit würden seine Glaubensbrüder in diesem elenden Kaff schon klar kommen. Mahburg war zwar kein Paradies, aber wenigstens waren die Häuser aus Stein und die Betten warm. Ganz zu Schweigen vom Essen. Er will sich gar nicht ausmahlen, welchen Fraß ihm diese Wilden vorsetzten würden. Und wenn die Menschen in diesem gottverlassenen Winkel der Welt nur halb so unheimlich wären wie ihre verdammten Wälder, würde er nachts kein Auge zutun. Der junge Rekrut der Ritterakademie, der ihn seit seiner Abreise vor einigen Wochen als Eskorte begleitet macht zwar einen ganz zuverlässigen Eindruck, allerdings wird dem Geistlichen seit Einbruch der Dunkelheit immer mulmiger zu Mute. Bis jetzt hatten es nur einige abgemagerte Wegelagerer tatsächlich gewagt einen Würdenträger der Lhajakirche anzugreifen, aber diese verzweifelten Gestalten konnten kaum die Klingen und die Griffe ihrer Waffen unterscheiden. In dieser Nacht liegt jedoch ein dunkler Schatten über dem Forst, Unheil lauert zwischen den Bäumen. Eine namenlose Gefahr scheint im Dunklen zu verbergen, die Geräusche des Waldes sind viel zu leise und die Schatten der Bäume scheinen nach den zwei einsamen Reisenden zu greifen. Der Priester wirft immer wieder einen ängstlichen Blick über die Schulter, und auch der Bewaffnete greift gelegentlich nervös an den Knauf seiner Klinge. Seit einer knappen Stunde ist außer dem Rascheln des Laubes unter den schweren Lederstiefeln nun schon nichts mehr zu hören, selbst die Schreie der Eulen und das gelegentliche Jaulen der Wölfe ist verstummt. Als in wenigen Metern Entfernung plötzlich ein Ast bricht, klingt es so laut als würden Trommeln und Schreie die Stille zerreißen. Der junge Soldat bedeutet seinem Begleiter mit einer Handbewegung stehen zu bleiben und zieht langsam das Schwert aus der Scheide. Der übergewichtige Priester spürt die Gefahr, die sich ihm nähert, noch bevor er sie sieht und stößt einen ängstlichen Schrei aus. Zwei bleiche Gestalten treten aus dem Schatten der Bäume, ihre Haut sieht im kalten Mondlicht beinahe weiß aus und in Augen liegt ein gehetzter, getriebener Blick. Als einer der Männer den dunklen Mantel zurückwirft und eine schmale Klinge zieht, verliert der Dicke die Nerven. Panisch rennt er los, in seinem Rücken hört er wütende Schreie und das Klirren von Stahl. Die Angst setzt ungeahnte Kräfte in seinem untrainierten Körper frei, immer tiefer treibt in seine Flucht in den dichten Wald. Erst als seine Beine den Dienst versagen und die Lunge brennt wagt der Priester stehen zu bleiben und einen Blick über die Schulter zu werfen. Kein Ton ist zu hören und weder von seinem Begleiter noch von den zwei dunklen Gestalten ist etwas zu sehen. Der Geistliche atmet tief durch und versucht sich zu beruhigen. Fest umklammert er das Amulett in seiner Hand und schickt ein Gebet zu Lhaja. Die Bewegung in seinem Rücken hört er zu spät. Ein kalter Griff schlingt sich um seinen Hals und der Hilferuf erstickt jämmerlich, als der Kehlkopf mit einem lauten Knacken nachgibt. Als der junge Rekrut seinen Begleiter findet, hat der Vampir sein Mahl längst beendet. Starr blicken die toten Augen ins Blätterwerk, unter der Haut scheint sich kein Tropfen Blut mehr zu finden. Grimmig legt Adran einen Pfeil auf die Sehne und begibt sich auf die Jagd...