Die verschwundene Hand

Die verschwundene Hand

Beitragvon Amilcare » Mo 31 Mai, 2010 16:38

Von wabernder Dunkelheit umgeben tanzten die sachten, rötlich schimmernden Punkte in sanfter Harmonie. Kalte Schauer durchfuhren Heron, als er dem Schauspiel gewahr wurde, das sich vor seinen Augen abspielte...oder darin?
Er schien in anderen Sphären zu schweben und der eisigen Hand seines Peinigers mit purer Aufgabe entkommen zu wollen und so legten sich die flimmernden Punkte zu einem Teppich, durchfluteten seinen Geist und rissen ihn jäh aus der schützenden Trance.
Der Schmerz durchfuhr erneut seinen geschundenen Körper und trennte, einer heißen Klinge gleich, einen Teil seines zerschmetterten Geistes ab. Die Ohnmacht schien für einen kurzen Lidschlag erneut so nah und doch gelang es ihm nicht, sich wieder in ihre sanften Arme zu stürzen.
Das Messer zog sich so schnell zurück wie es gekommen war und mit ihm ging der Schmerz. Es blieb lediglich der abstoßende Gestank von verbranntem Fleisch, der Heron hätte würgen lassen, wäre er dazu noch imstande gewesen.
Wie hatte es nur soweit kommen können? Noch vor acht Umläufen war Heron aus der Strafgefangenschaft in Schattenbruch entlassen worden. Mit wenigen, guten Vorsätzen und einem leeren Geldbeutel, geschundenen Knochen und wenig Hoffnung auf eine Zukunft im Kaiserreich hatte er endlich die Freiheit erhalten, die ihm zu Unrecht vor vierzehn Jahren genommen worden war. Seine handwerklichen Fähigkeiten waren bescheiden, da er vor seiner Haft als Dienstbote der Familie Vacroix gearbeitet und somit wenig Chancen auf Arbeit in Schattenbruch oder Umgebung hatte.
Steine klopfen war das einzige, was er die letzten vierzehn Jahre an Arbeit verrichtet hatte, doch war dies nicht das, was er weiterhin zu tun gedachte. Mochte er auch noch so ausgezehrt sein, mit noch so einem leeren Magen ziellos durch die dunklen Gassen Schattenbruchs wandern, so war er doch froh schlussendlich nicht mehr in die ausdruckslosen Gesichter seiner Mitgefangenen starren zu müssen, nicht mehr fürchten zu müssen, aufgrund eines Stück knochenharten Brotes und etwas schaler Brühe mit einem spitzen Stein im Rücken aufzuwachen.
Und so war Heron von Schattenbruch aus mitsamt seiner bescheidenen Habe, aufkeimender Sehnsucht im Herzen und der kleinen, schwindenden Hoffnung auf einen Neuanfang in Richtung der Wehrstadt Eisentrutz aufgebrochen, denn er hatte Kunde vernommen, dass dort neue Amtsschreiberlinge gesucht wurden.
Natürlich wurde er enttäuscht, natürlich waren sie nicht bereit einem ehemaligen Gefangenen Schattenbruchs Arbeit zu geben, auch wenn dieser seine Zeit dort unschuldig abgesessen hatte.
Seine Hoffnung auf einen Neuanfang hatte er am gleichen Abend in einer heruntergekommenen Absteige in billigem Schnaps ertränkt.
Doch etwas änderte sich an diesem Abend tatsächlich, denn als Heron gerade dabei war sich mit seinem Schicksal abzufinden, betrat ein Mann die Absteige, wie er zuvor noch nie einen sah. Behangen mit etlichen Amuletten, gekleidet in einen wilden Mix aus kaiserlicher Mode, auretanischen Spitzen und inodanischer Seide und mit einem Gesicht, dessen Alter nur schwer einzuschätzen war, haftete diesem Mann eine befremdliche Aura an, die ihn förmlich mit der Umgebung verschmelzen ließ. Doch Heron war er aufgefallen, so wie eine giftgrüne Natter sich versuchte im blassgrünen Unterholz vor ihrer Beute zu verstecken, so hatte er diesen Mann dabei beobachtet, wie er langsam an ihn herantrat. Heron konnte nicht einmal mehr die Alarmsignale in seinem Geist wahrnehmen, zu sehr schienen ihn die vor Wahnsinn flackernden Augen des Fremden in ihren Bann zu schlagen.
Er konnte sich an nichts erinnern, außer daran, dass er mit Schmerzen erwacht war und mit Schmerzen sogleich wieder in Ohnmacht fiel. Seinen Folterknecht sah er nicht, denn der Schmerz umnebelte seinen Geist und seinen Blick, aber der durchdringende Gestank dieses Ortes würde Heron für immer begleiten.
Doch seine Peiniger waren noch immer nicht befriedigt, denn erneut setzte der Schmerz ein, umfing Herons zerrütteten Geist und kerkerte seine Gedanken ein. Begleitet vom Geruch verbrannten Fleisches und einem ekelerregenden Zischen sank er in die gnädigen Arme einer erneuten Ohnmacht.

Er erwachte und fühlte sich anders, befreit, entrückt. Seine einst schweren Lider ließen sich mit Leichtigkeit heben und seine gepeinigten Augen vermochten im Dunst der naheliegenden Esse den Kerker auszumachen, in dem er an eine Streckbank gekettet worden war. Die Streckbank selbst schien aufgerichtet worden zu sein, sodass er senkrecht lag und die Hälfte des stickigen wie kärglich eingerichteten Raumes nicht zu sehen vermochte.
Er zuckte zusammen, als er inmitten der Folterinstrumente einen Schemel ausmachte, der sich genau vor ihm befand. Auf diesem Schemel saß der Fremde, dem er an jenem verhängnisvollen Abend in der Absteige in Eisentrutz begegnet war. Wie zuvor war der Mann in einer wirren Kombination verschiedenster Modestile gekleidet und trug einen aus dunklem Holz gefertigten, mit einem silbernen Knauf in Form eines Löwen versehenen Gehstock. Er wirkte wie eine Kuriosität an diesem Ort, wie ein Schauspieler auf einer kahlen Bühne, vom Publikum verlassen und doch solch eine beeindruckende Aufführung darbietend, dass er seinen einzigen Zuschauer zu fesseln vermochte.
Heron war hin und hergerissen zwischen Abscheu, Faszination und Angst und erneut war er außerstande, seine Augen von dem Fremden abzuwenden. Der Mann lächelte und Heron kam es wie eine abscheuliche Parodie einer beruhigenden Geste vor, die ihm, so pervers es schien, nicht nur Furcht bereitete, sondern etwas tief in ihm zu beruhigen schien.
Er wollte zu sprechen ansetzen, doch der Fremde war schneller und seine schmeichelnde, sanfte Stimme drang an Herons Ohren.
"Ich denke, Ihr seid bereit, mein Freund. Lasst mich Euch von der Gnade des dunklen Vaters erzählen..."
Das Lächeln des Fremden wurde stärker und Herons innere Ruhe, trotz finsterer Vorahnungen, größer. Als das silberne Stabende des Fremden seine nackte Brust berührte, wurde Heron zum ersten Mal bewusst, dass er nie wieder das Tageslicht erblicken würde.
Sein Geist zerbrach, seine Gedanken zerschmolzen. Haut löste sich wie brüchig gewordenes Pergament und Heron selbst fand endlich Trost in ewiger, einhüllender Dunkelheit.
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