
Svetlana lag auf ihrem Lager im Abendwind und kam über das Stadium des Halbschlafes nicht hinaus. Zu sehr rasten die Gedanken in ihrem Kopf umeinander, als dass sie die erholsame Ruhe und das gnädige Vergessen des Schlafes finden konnte.
Was immer sie für Anstrengungen unternommen hatte, den Faden der Ereignisse zu entwirren um den Zusammenhängen auf die Spur zu kommen, schien er von unsichtbaren Händen nur noch stärker verknotet und verwirrt zu werden. Nicht einmal im Archiv des Tempels in Wangalen, in dem die Berichte der Nergariten gelagert werden, auf dass die kommenden Generationen der Nergariten von ihnen lernen sollten, war sie auf einen ähnlichen Fall gestossen, bei dem jede Antwort nur neue Fragen aufwarf.
Gab es einen Dämonen, der als Wolf sein Unwesen trieb? Oder handelte es sich tatsächlich lediglich um Werwölfe? Sie war sich ihrer Sache recht sicher. Ihre eigenen Beobachtungen sprachen stark für die leider so viel gefährlichere Variante.
Woher sollte auch eine Probe Blut eines Dämonenwolfes zu beschaffen sein? Manche Dinge könnte selbst ein Kaiser mit all seinem Reichtum nicht erwerben. Das Blut eines Dämonenwolfes zu beschaffen erschien ihr ebenso unmöglich, wie eine Locke von Nergas Haar.
Den Göttern sei Dank, dass es so schwer war, fanden sich in den Annalen der Nergariten ohnehin nur sehr wenige Berichte, bei denen es sich tatsächlich um den Kampf gegen einen Dämon gehandelt hatte. Und immer gab es Opfer zu beklagen.

Dämonen, ließ ihre Gedanken abschweifen. Geschöpfe von unsagbarer Grausamkeit, gewissenlos und voller Tücke. Wie Würgefeigen beginnen sie klein und langsam, so sie die Barriere in unsere Welt überwinden können. Fast immer nur mit der Hilfe eines Narren, der sie ruft. Dann locken sie ihn, betören ihn mit der Droge der Macht und vergiften seine Seele. Ganz langsam bohren sie ihre Wurzeln tiefer in seine Seele, während sie ihm scheinbar zu Willen sind. Dabei nähren sie sich von seiner Seele, die unmerklich aber genauso unaufhaltsam dem Wahnsinn anheim fällt. Dann, wenn ihre Macht gewachsen ist und ihre Wurzeln fest verankert, fressen sie die Seele des Unglücklichen und bedienen sich seines Körpers. Oder des Körpers eines Tieres, das ihnen leichter fällt. Es scheint, als ob es auch unter den Dämonen weniger geduldige Exemplare gibt... Niemand kann einen Dämonen beherrschen. Jedenfalls nicht für lange. Und wer sollte je an dämonisches Blut gelangen und am Leben bleiben?
Ihr Blick wanderte zum Fenster. Bald würde es wieder Vollmond sein. Und wenn sie sich nicht irrte, die seltene Konstellation, dass beide Monde Antamars zugleich voll wären. Das waren die Nächte, in denen die Werwesen ihre maximale Macht erhielten. Und es war kaum zu erwarten, dass das Problem mit dem Droux zu kämpfen hatte, diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen würde. Diese Narren. Anstatt gemeinsam die Gefahr zu vernichten, geb es tatsächlich welche, die sie für ihre kurzfristigen eigenen Belange vor den Karren spannen wollten. Ohne sich bewusst zu sein, dass es sie genauso vernichten würde, wenn es an der Zeit war. Wir töricht die Menschen sein konnten, wie verblendet in ihrer eigenen jämmerlichen Existenz. Das letzte Hemd wird keine Taschen haben und die Waage Nergas sich nicht durch irdische Macht oder den Glanz des Goldes beirren lassen. Vor seinem Urteil sollten sie sich fürchten.
Lärm riss sie aus ihren Gedanken. Jemand polterte an das Tor der Herberge. Sie sprang auf und warf sich die Robe über. Ihre Intuition sagte ihr, dass es wohl Arbeit für sie geben würde. Also verliess sie ihre Kammer und ging hinunter in den Gastraum. Dort traf sie auf einen Boten, der ihr noch atemlos von der Hetze Kunde von Korporral Kresso gab. Den Ursprung der Nachricht wollte er durch ein Stück Tuch von seiner Uniform belegen.
Sie wüssten von dem Aufenthaltsort des Unwesens und sind aufgeborchen es zu stellen. Sie sollte ihnen nach.
Sie nahm die Nachricht auf und gab dem Boten einen Gulden, damit er im Mietstall ihr Pferd satteln liesse und sie dann beim Tempel der Staatskirche anmelden sollte. Und sich ja nicht abwimmeln lassen!
Dann ging sie nach oben, um sich für die Jagd vorzubereiten. Sie hinterließ eine Nachricht für Colgan beim Wirt und verliess dann den Abendwind. Am Mietstall schwang sie sich in den Sattel ihre Pferdes und galloppierte über die leeren Strassen der schlafenden Stadt zum Tempel.
Dort angekommen erfuhr sie von der Tempelwache, dass Hochwürden Gilles tatsächlich aufgebrochen war, in Harnisch und mit Waffen. Svetlana zögerte und dachte nach. Eigentlich roch das Ganze nach einer Falle. War Hochwürden nicht schon deutlich zu alt, um sich an einer solchen Hatz zu beteiligen? Und wieso war sie ausgerechntet die letzte, die man informierte? Wäre sie an Kressos Stelle gewesen, hätte sie sich zuerst an sie gewandt, an statt alleine überstürzt aufzubrechen. Für so unbedacht hatte sie Kresso eigentlich gar nicht gehalten. Colgan schon eher, der war scharf auf die Belohnung, aber Kresso? Die ganze Geschichte passte nicht recht zusammen. Das stank eigentlich schon gegen den Wind. Aber was sollte sie tun? Wenn es wirklich an dem war, dann konnte sie diese Toren nicht ohne Nergas Beistand lassen. Gerade jetzt, wo beide Monde bald voll wären.
Nergas, sandte sie ein kurzes Stoßgebet zu ihrem Gott, so ich je Deiner Hilfe bedurfte, dann jetzt. Lass Deine Dienerin nicht ohne Deinen Beistand.

Hart gab sie dem Ross die Sporen. Die wenigen Menschen vor ihr rannten verschreckt aus ihrem Weg. Unter den donnernden Hufen verschwand das Pflaster der Strassen rasch hinter ihr und schon bald wechselte es sich ab mit dem weicheren Klang der Strasse, die gen Montgelais führte.