Der seltsame Aufstieg des Taugenichts Luzius Dickie vom Stein
VENLONA

Luzius Ambrosius vom Stein, ein junger Feinschmeidemeister aus Venlona, verlor bei einem Arbeitsunfall ein Auge. Er wollte ein paar winzige Schlüssel zum Aufziehen der Taschenuhren für den Uhrmacher schmieden und beugte sich tief über die Esse, als in dieser etwas zerbarst und kleine Steinteile in die Luft schleudert. Offenbar hatte der Lehrbub, trotz aller Vorsicht, einen kleinen Stein in die Kohle übersehen und dieser war durch die große Hitze zu Splittern geborsten. Einer dieser Steinsplitter traf das rechte Auge von Lucius und drang tief ein. Ein schnell herbeigerufener Heiler konnte zwar den Splitter herausziehen, der Augapfel aber war zerstört.
Schnell merkte Luzius, dass er einäugig nicht mehr in der Lage war die feinen Schmiedearbeiten zu verrichten, die ihn einst so auszeichneten, Verbittert und fest entschlossen nie wieder eine Schmiede zu betreten, verließ er die Schmiedegilde und trat in die Bettlergilde der Stadt Venlona ein. Fortan ging er betteln. Durch seine Versehrtheit und sein freundliches Wesen bekam er häufig mehr mildtätige Spenden als andere. Da er seine Einnahmen oft mit anderen teilte, die weniger Glück hatten, war er sehr beliebt und es dauert nicht sehr lange, da war Luzius der Gildenmeister der Bettlergilde Venlona.
Auch bei dem Dogen und den Honoratioren der Stadt machte er sich beliebt, denn "seine Bettler" hielten alle Vorschriften der städtischen Bettlerverordnung ein und schliefen des Nachts nicht draußen in den Gassen und Hauseingängen, sondern im Gildenhaus.

Als er schon in der Mitte des Lebens angelangt war, fragte ihn eines Tages Ludmilla Duvelsmann, die verwöhnte Tochter eines reichen Händlers, ob er sie nicht zur Frau nehmen wolle. Verwundert, aber hocherfreut, nahm Luzius den Antrag an.

Wenige Tage nach der Hochzeit verkündete Ludmilla bereits sie sei guter Hoffnung. Und sechs Monde nach der Hochzeit wurde ein Sohn geboren. "Viel zu früh!" raunten eine der beiden Hebammen, die gerufen worden waren. "Aber kräftig wie ein Ausgetragener!" sagte die andere, nachdem sie das Baby untersucht, gewaschen und gewickelt hat.
Luzius, der schon seit dem Aushandeln der Mitgift ahnte, warum Ludmilla ihn so plötzlich zum Gatten auserkoren hatte, sagte nichts dazu. Er war fest entschlossen das Kind als das seine anzusehen, um seine so viel jüngere Frau zufrieden zu stellen.
"Er soll Luzius heißen wie schon mein Vater, mein Großvater und auch der Urgroßvater." bestimmte er. "Den zweiten Vornamen kannst du nach Belieben aussuchen, Ludmilla. Vielleicht Ottokar nach deinem Vater?" sagte er zur Gattin. Die lächelte matt und sagte leise: "Ottokar klingt nicht schön, Luzius. Deshalb möchte ich ihn lieber Dickie nennen. Also unser Sohn soll Luzius Dickie vom Stein heißen. Das würde mir gefallen und es ist ein seltener und deshalb schöner Name." Luzius Ambrosius war zwar nicht der Meinung, dass Dickie ein schöner Name wäre, verzog ein wenig das Gesicht, verkniff sich aber jedwede Kritik an der Namenswahl der Gattin. Schließlich ging es nur um den zweiten Vornamen, wichtig war, dass der Junge Luzius hieß.
Die Mutter Ludmilla verwöhnte den Sohn über alle Maßen und erfüllte ihm jeden Wunsch. Meist wünschte das Kind sich Essen und Süßigkeiten. Er war der Völlerei derart zugetan , dass er im Laufe der Jahre runder und runder wurde. Seine Mutter störte das nicht. "Mein stattlicher Sohn Dickie!" So pflegte sie ihn stolz jedem vorzustellen, stets zum Ärger ihres Gatten, der der Sohn immer Luzius nannte. Ludmilla nannte ihn niemals Luzius, immer nur Dickie. Den Ärger ihres Mannes ignorierte sie standhaft. Je runder der kleine Dickie wurde, um so mehr amüsierten sich die Bettler und Bettlerinnen über den Namen. "Er ist passend zur Figur!" Aber sie achteten darauf, dass Ludmilla ihre Scherze nicht mit bekam, denn sie konnte durchaus unangenehm reagieren. Ihre Dienstmädchen konnten ein Lied davon singen.
In die Schule ging Dickie ungern und brachte auch nur schlechte Zeugnisse mit heim. Was natürlich die Lehrer schuld waren! Der Meinung waren zumindest Dickie und seine Mutter. Sein Vater aber schalt den Jungen, engagierte private Lehrmeister und wies ihn an fleißig zu lernen. Leider vergeblich. Die Lehrmeister gaben alle früher oder später auf.
Als Dickie sechzehn Götterläufe erlebt hatte, bekam er eine Aufgabe vom Vater. Der Vater hoffte insgeheim, dass sein Sohn bei der praktischen Arbeit mehr Erfolg hat. Also übertrug er ihm die Verantwortung für die bettelnden Kinder in der Gilde. Dickie erledigte diese Aufgabe mit Brutalität und Boshaftigkeit. Er schlug die Kinder, egal wie viel Gold oder Sachspenden sie erbettelt hatten. Er nahm ihnen sämtliche Einnahmen und vor allem geschenktes Essen weg. Stattdessen speiste er sie mit dünnen Wassersuppen und altem Brot ab. Als sich die Kinder bei seinem Vater darüber beklagten, verteidigte Dickie sich. " Sie sehen dann hungriger und ärmer aus. Die Bürger spenden dann mehr. Mehr Mitleid, mehr Spenden!"
Der Vater war entsetzt über die Hartherzigkeit seines Sprösslings, der ja selbst, für alle sichtbar, zu viel und zu gut aß. Trotzdem gab er ihm weitere andere Aufgaben im Bettlerorden, die aber alle ebenso endeten, wie die erste.
Als sich der Tag seiner Geburt zum 18.ten mal jährte, griff Dickie in die Ordenskasse, um ein Fress- und Saufgelage für sich und ein paar zwielichtige Freunde zu veranstalten. Als der Vater den Diebstahl bemerkte, warf er den Sohn, trotz des Wehklagens Ludmillas, aus dem Haus. "Er ist ein Taugenichts!" beschied er seiner Frau. "Und brutal und unredlich! Eine verhängnisvolle Kombination. Er wird einst am Galgen baumeln, wenn der Strick nicht reißt. "

Dickie reiste bequem mit Schiffen und Kutschen in Richtung Norden, denn seine Mutter hatte ihm einen großen Batzen Goldes und den Schlüssel für ein Haus zugesteckt. Das Haus befindet sich in Faelughaven am Markt. "Dort kannst du wohnen. Mit dem Gold kannst du eine Weile auskommen und dann sehen wir weiter! Ich komme dich dort besuchen." hatte seine Mutter ihm zu geraunt, als er das Elterhaus verlassen musste.
In einem Gasthaus lernte Dickie den Norlander Gunnar Finnson kennen, den er mit ein paar Gulden "überredet" hat, ihn zu begleiten.

Es verschlug die beiden zunächst nach Vellhafen und dann buchten sie, plötzlich zu dritt, denn sie hatten eine junge Dienstmagd dabei, das Fährschiff nach Faelughaven. Die junge Frau wurde in den Keller des Hauses in Faelughaven geschleppt, geschlagen und mit einem Messer verletzt. Kurzum: Sie wurde gefügig gemacht. Sie war die erste, die für Dickie betteln ging. Es folgten andere.

Dickie war entschlossen eine eigene Bettlergilde zu gründen und setzte den Entschluss gleich in die Tat um. "Ich bin der König der Bettler und ich werde hier mal ein wenig aufräumen! Uns wird es mehr als gut gehen, davon bin ich überzeugt." sagte er zu Gunnar Finnson nach der Gründung der Antamarischen Bettlergilde "Gnade der Götter". Wenige Monde danach hat die Gilde schon mehr als ein Dutzend Mitglieder. Keiner der Männer, Frauen und Kinder ist freiwillig dort.
Fortsetzung folgt ...