Vor wenigen Stunden erreichte uns überraschend ein hoch offizieller Bote aus Palais du Roi, dem Amtssitz eurer königlichen Majestät Pierre du Chevalois im Königreich Endourelle, der im Auftrag ‘le Cardinales‘ folgende Bekanntmachung hier verlass,…
„Die ihnen gemeldeten Vorkommnisse im Waldforst zwischen den Städten Sinorc, Vidoque und Droux, im Zeitraum vom 15. Markttag des Lichtmonats bis zum 26. Freitag des Wassermonats, standen bislang offiziell nicht in direkter Verbindung zueinander!
Die mit den Ermittlungen, im Fall des Verschwindens des Athos-Hochgeweihten Barabas in Droux, betraute Athos-Geweihtenschaft trug ‘le Cardinale‘ vor wenigen Tagen neue Beweise zu, die auf Umtriebe eines Werwesens schließen lassen, welches in der Vergangenheit bereits mehrere Menschen angriff. Einige von ihnen, hierunter auch ein Bauer und ein Forstwart aus Montgelais, so wie ein Fallensteller aus Vidoque, kamen bei diesen Angriffen ums Leben.
Die am Freitag dem 29. des Ehrenmonats in Droux zur Wolfshatz aufgebrochenen Jäger, von denen bislang nur zwei in der Wildnis um Montgelais, nach elf Tagen aufgespürt werden konnten, lebt nur noch einer. Jener befindet sich im Gewahrsam der Athos-Geweihtenschaft in Droux zwecks intensiver Befragung zu den Vorkommnissen der bennanten elf Tage.
Bei dem am Freitag dem 26. des Wassermonats gefundenen, bislang nicht identifizierten Reisenden, dessen Leiche im Unterholz des Waldforstes zwischen Sinorc und Droux gefunden wurde, handelt es sich um ein Werwesen, das an nicht benannter Stelle durch die Streiter der Athos-Geweihtenschaft gestellt wurde, doch dem schwer verwundet nach langem Kampf die Flucht gelungen war. Nach einsetzten des Todes verwandelt es sich in seine menschliche Gestalt zurück.
Das durchforsten der Wälder auf der Suche nach diesem oder eventuell weiteren, oder ähnlichen Kreaturen blieb bislang ohne weitere Erkenntnisse. Da nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es vielleicht noch weitere Werkreaturen im Waldforst gibt, wird ab heute der Forst zwischen Sinorc, Vidoque und Droux verstärkt, durch die Anhängerschaft der Athos-Gemeinschaft und weiterer Freiwillige, durchsucht.
Auf Wunsch eurer königlichen Majestät beauftragte eurer Seligkeit ‘le Cardinale‘, Horathio Moratin-Moriarty, Le régiment du colonel Rochefort Giacomo le Rochelle mit der Leitung der Ermittlungen und Koordinierung der Suchtrupps. Zudem hat in Absprache mit eurer königlichen Majestät Pierre du Chevalois, ‘le Cardinale‘ eine Belohnung von 500 Gulden für denjenigen ausgesetzt, der neue gesicherte Beweise liefern kann, ob weitere Kreaturen noch ihr Unwesen treiben, oder ob es sich um einen Einzelfall handelte.", so wörtlich der Bote, der nicht bereit war weitere Fragen zu beantworten und sogleich die Redaktionsräume verlies.
So bleiben die Frage offen, wie lange die die Athos-Geweihtenschaft in Droux wirklich von den Umtriebe eines Werwesens im Königreich Endourelle weis, und woher jene Kreatur stammt.
Bereits in der letzten Nacht konnte er ausmachen, in welcher Richtung Palais du Roi lag. Widernatürlich scheint ihm das mitternächtliche Wetter. Empfindlich kalt ist es in der Wildnis, und der dichte Nebel tut sein übriges. Die Feuchtigkeit dringt durch seine Kleidung, wodurch sie sich klamm und ungemütlich auf der Haut anfühlt. Kaum zehn Schritte kann er sehen; alle Geräusche der Nacht werden vom Nebel gedämpft oder ganz verschluckt. Nichts kann er rechts und links des Weges neben sich erkennen, doch er ist sich sicher, dass er sich bereits mitten im Armenviertel, das außerhalb der schützenden Stadtmauern gelegen war, befindet. Unvermittelt bleibt er stehen und versucht sich zu orientieren. Lange Zeit war er dieser Stadt fern gewesen, und ihm kommen Zweifel ob er in diesem dichten Feld der Unwirklichkeiten seinem Orientierungssinn noch trauen kann.
Es dauert seine Zeit, bis er die sich vor ihm aus dem Nebel schälenden, großen Silhouetten von Mauern, Türmen und Häusern wahr nehmen kann. Je näher er kommt, desto größer werden die schwarzen Mauern, die Stadthäuser und Mietskasernen, die auf seinem Weg durch diese Stadt immer wieder wie aus dem Nichts vor ihm auftauchen. Die spärlichen Fackeln und Laternen verbreiten keine Helligkeit, sondern tauchen nur das Grau in einen rötlich-goldenen Schimmer. Zwischen den Ritzen eines Fensterladens in der Holzwand neben ihm dringt warmer Lichtschein hervor. Die ihn schützenden Hauswände seitlich verschwinden, er tritt aus einer Gasse auf den Vorplatz einer minderen Tempelanlage. Der feuchtkalte Nachtwind trifft ihn unvorbereitet von der Seite, so dass ihn fröstelt wie im Spätherbst. Er überquert den Platz und alles um ihn herum wird wieder grau – der Nebel, das Pflaster, die Häuser, einfach alles scheint in der Endlosigkeit dieser Nacht zu versinken.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, so scheint es ihm, wird die Stille durch ein ihm nur zugut bekanntes Geräusch unterbrochen. Einen kurzen Moment hält er inne und lauscht dem leisen Rauschen der Wellen im Hafenbecken, und dem schwachen Knarren von Bordwänden und Schiffsmasten, die er auf seinem weiteren Weg durch den Hafen der Stadt passiert, nur schemenhaft erahnen kann.
Sein Ziel ist jedoch nicht diese Stadt, sondern der etwa 10.Meilen landeinwärts gelegene Palais du Roi, der Amtssitz eurer königlichen Majestät Pierre du Chevalois, umgeben von hundert Morgen erstklassig gepflegten Landes. Der Gedanke in den frühen morgen Stunden, noch vor Sonnenaufgang Palais du Roi zu erreich und zu betreten, bereitete ihm Unwohlsein. Nein, er ist kein Adliger – weniger noch – er ist weder ein Mann des Adels, noch des Volkes. Er ist Soldat und als dieser hat er Befehle zu befolgen, selbst dann wenn diese nicht mit der eigenen Moral oder Ethik, geschweige denn der, der anerkannten Gelehrtenschaft, zu vereinbaren ist.
Er hatte seine Befehle, ‘geheime Order von oberste Stelle‘, erhalten, und Nichts konnte ihn davon abhalten diese auch Wort treu in eine Tat umzusetzen – im Palais du Roi, bei Sonnenaufgang.
Er folgt von Droux aus einer der Reichsstraßen landeinwärts, bis nach knapp zehn Meilen vor ihm die Silhouetten von Mauern und wenigen Wachtürmen aus dem Nebel hervortreten. Dies ist die äußere Mauer des Palais du Roi, hinter der gelegen sich die hundert Morgen große, majestätische Parkanlage des königlichen Gartenarchitekten, Comte Jean Broulliere Rarécourt della Vallé du Pimodan-Vârre, erstreckt.
Hier verlässt er die Reichstraße und folgt erst in einigem Abstand dem Mauerverlauf, bis die Straße, das Tor und die Wachtürme hinter ihm im Nebel versinken. Nun, im Dunkel der Nacht, gehüllt in einen Umhang aus Nebel, geht er an die Mauer heran und folgt ihrem Verlauf weiter, bis er vor sich, an einem der kleineren Nebentore, das spärliche Licht einer einzelnen Laterne erblickt.
Still steht er dort, im Wissen, dass Niemand ihn sehen kann. Er mustert die hagere Gestalt mit der Laterne und erkennt sofort dass es sich bei ihm um keinen Wächter handelt.
Sein Blick folgt dem Laternenschein.
Kein Wächter war an dem Tor zu sehen, bislang nur diese Person, die scheinbar auf jemanden wartet – auf Ihn vieleicht, fragt er sich in Gedanken selbst.
Schweigsam wie er in dieser Nacht ist, tritt er näher an die Wand heran und hockt sich ins nasse Gras. Ein Gefühl rät ihm dazu nicht zu schnell in den Schein des Laternenlichtes zu treten, denn was im ersten Moment wie eine überraschend förmliche Einladung wirkt, konnte ebenso ein Hinterhalt sein.
„Ich finde es ist heute Nacht kälter als in den zuvor.“ bemerkt der Mann mit der Laterne und schwenkt diese einmal kurz in alle Richtungen um sich zu vergewissern, das sich im Dunklen keiner an ihn heran zu schleichen versucht. Der Mann an der Mauer, schließt seine Augen und senkt den Kopf, als der Lichtschein über ihn hinweg geleitet. Vorsichtig legt er seine Hand um den Griff des Schwertes.
„Euch ist immer kalt.“ erwidert Jemand aus dem Torbogen heraus, der mit diesen Worten an die Seite des Mannes tritt und sich ebenfalls umschaut, vergebens jedoch. Der Mann mit der Laterne zieht den Wollmantel dichter um sich und schaut mit einem zornigen Blick zu dem Mann neben sich herüber.
„Sagt Alrico, glaubt ihr wirklich allen Ernstes, dass er hier her kommen wird? “ fragt der Mann mit der Laterne, dessen Blick sich wieder der Umgebung zugewandt hat, und sich jenseits des Lichtscheins verliert.
„Er wird kommen Jacopo,…“, sagt Alrico und fast sich an die Stirn.
„…Und jetzt schweigt, ich bekomme Kopfschmerzen von eurem Gezeter!“ fügt er in einem unmissverständlichen Ton hinzu, der keine Widerrede duldet.
Jacopo schweigt und schaut sich weiter um.
Erst jetzt bemerkt er, welch unheimliches Eigenleben die Schatten der Bäume und Äste durch das gelegentliche flackern der Laterne entwickelten. Ihm ist alles andere als wohl bei dem Gedanken, hier draußen an einem nicht bewachten Tor auf Jemanden zu warten, von dem Niemand weiß, mit welchen Absichten er her kommen würde.
Der Wind rauscht übers Land hinweg und nichts ist zuhören außer einem Uhu irgendwo vor ihnen.
Sie warten einige Minuten schweigend, bis Jacopo erneut das Wort ergreift.
„Was macht euch so sicher das er kommen wird? Leute wie er sind gefährlich und taugen obendrein nichts. Sie sind heute hier und morgen da, fast so wie Krähenmänner. Beides das gleiche, wenn ihr mich fragt.“, erklärt er, ohne auch nur im entferntesten zu ahnen, das der auf den sie warteten, schon längst hier ist.
Der Schatten im Dunkeln reißt entrüstet die Augen auf, als er Jacopos Worte hört, sonst regt er sich jedoch kaum.
„Euch fragt jedoch keiner, was wohl der Grund ist, weshalb ihr noch lebt. Eure Worte interessieren niemanden hier oder irgendwo anders.“ erklärt Alrico ihm, während sich dieser im Uhrzeigersinn mit Zeige- und Mittelfinger beginnt die Schläfen zu massieren.
Ein Schatten huscht vor ihnen unter den Bäumen, durchs Unterholz und feuchtes Gras hindurch.
„Alrico,…“ sagt Jacopo mit erregter Stimme, wobei er mit ausgestrecktem Arm auf den vorbeihuschenden Schatten aufmerksam macht.
„Was?“ erwidert er, und schaut in die Richtung in die Jacopo deutet.
„…da ist etwas!“ fügt er hinzu.
Alrico späht in die Richtung, kann jedoch nichts erkennen. Erst als Jacopo einige Schritte nach vorn macht, glimmen einige Meter vor ihm schwach zwei gelbe, leuchtende Punkte auf die sich ihm langsam nähern.
Etwas Schwarzes hebt sich kaum wahrnehmbar aus dem Unterholz ab, welches sie aufmerksam zu beobachten scheint und sich dabei in geduckter Haltung langsam auf sie zubewegt.
„Athos steh uns bei,… der Krähenmann!“ erwidert Jacopo entsetzt.
Schnell macht er mehrere Schritte zurück, wobei er ein athosgefälliges Zeichen mit der Hand über sich schlägt.
Alrico bleibt ruhig und geht in die Hocke um besser sehen zu können, nicht wissend welche Gefahr sich hinter seinem Begleiter in der Dunkelheit des Torbogens verborgen hält.
Mit dem Zurückweichen des Lichtes verschwinden die glimmenden Punkte, doch Alrico hat noch genug erkennen können um zu wissen das dies nicht der Krähenmann ist, der seinem Begleiter das Blut in den Adern gefrieren lässt.
„Ein Wolf!“ sagt Alrico und erhob sich, wobei er sich in einer gleitenden Bewegung Jacopo zuwenden will, der rückwärts auf den Torbogen zugegangen war.
In diesem Moment läßt Jacopo die Laterne fallen, dessen Licht den Torbogen und die Umgebung in ein düsteres Zwielicht hüllt.
Alrico will Jacopo grade tadeln, als er im schwachen Zwielicht die aus dem dunklen Torbogen herausragende Schwertklinge erblickt, die sich auf Jacopos Schulter gelegt hat.
Die Berührung des kalten Stahls hat ihn in eine Art Schock starre verfallen lassen, die sich langsam verstärkt als er spürt wie sich die Klinge langsam weiter nach vorne schob und seinen Hals dabei anritzt.
Ein dünner Faden Blut rinnt seinen Hals entlang.
Aus dem Torbogen tritt eine Gestalt hervor, dessen Erscheinung nur schemenhaft im Zwielicht zu erkennen ist.
Ein schwaches, schmatzendes Geräusch hinter Alrico zieht kurz dessen Aufmerksamkeit auf sich, und während er einen raschen Blick über die Schulter riskiert, dort hin wo er zuvor den Wolf gesehen hat, versteht er was passiert ist.
Der Wolf war eine überaus effektive Ablenkung gewesen.
Und so ist es auch.
Er hatte den Wolf herbeigelockt, im Wissen, dass er die beiden lange genug ablenken wird, damit er unbemerkt entlang der Wand in den Torbogen gelangen konnte. Etwas, das ihn sein eigenen hunger ein Moment vergessen lies.
„Ich glaube,… ihr seit meinet wegen hier, kann das sein?“ fragt die schattenhafte Gestalt mit dunkler, heiserer Stimme.
Alrico führte den Mann in dunkler Kleidung ohne weitere Worte durch das schmale Seitentor, auf die andere Seite der äußeren Mauer, hinter der sich die prächtige, und zudem hell erleuchtete Parkanlage des Palais du Roi, über viele Morgen erstreckte.
Die Anlange, es war ein Monument des königlichen Gartenarchitekten, Comte Jean Broulliere Rarécourt della Vallé du Pimodan-Vârre, dem es hier gelungen war etwas zu erschaffen, das bis heute im Imperium von nichts übertroffen wurde.
Hier war kein dichter Nebel mehr, der die Sicht auf wenige Meter beschränkte und nur schwache Silhouetten von Mauern und Wachtürmen erahnen lies.
Überall im Park schimmerten zahlreiche Lichter, hunderte Kerzen und Laternen, dessen Anzahl und Helligkeit in dieser Nacht selbst die niedrighängende, farblos wirkende Wolkendecke, in einen goldenen Lichtschimmer hüllte.
Licht das alles in diesem Park, Götterstatuen, Statuen und Büsten einstiger Herrscher und weit bekannter Persönlichkeiten in einen überirdisch scheinenden Glanz hüllte, der kaum mit etwas jenseits der Mauern verglichen werden konnte.
Der junge Alrico, nun im Licht eindeutig als höfischer Page zu erkennen, verwies gleich einige Meter hinter dem Tor mit einer, nur leicht angedeuteten Geste, wortlos auf eine nur wenige Meter entfernt bereit stehende Kutsche vor die zwei Pferde gespannt waren.
Der Mann, der all der Schönheit keine Beachtung zu schenken schien, Schritt direkt auf die Karosse zu, dessen Tür Alrico ihm öffnete und hinter ihm verschloss.
Vor die Fenster der Karosse waren die Vorhänge gezogen, so das man den Mann nicht sehen konnten, der sich bislang größte Mühe gegeben hatte, nicht zu viel Aufmerksamkeit auf seine Person zu ziehen.
Allerdings, wie er bereits am Tor feststellen musste, war er nicht der einzige der auf wortgetreue Umsetzung erhaltener Befehle größten Wert, zum Erhalt der etablierten Hierarchie, legte.
Auch sein Dienstherr schien dies, wie sollte es auch im Grunde anders sein, zu tun und wusste daher genau, das es nur eine Frage der Zeit war, bis der verhüllte Mann zurück kehren würde, denn seine Rückkehr, war unabhängig dem Ausgang des letzten Auftrages, Bestandteil seiner Befehle gewesen.
Lautlos durchquerte die Kutsche die majestätische Parkanlage, folgte verschlungenen Pfaden, überquerte Straßen und folgte dem Verlauf zahlreicher Alleen. Immer wieder kahmen sie an Brunnen, Irrgärten, romantisch gelegenen Pavillons und kleineren Sitzgruppen vorbei – mal offen einsichtig, dann mal wieder diskret hinter einigen Sträuchern und Bäumen verborgen.
Immer mal wieder waren auch einige wenige gelangweilte Wachen zu sehen, die aus der Entfernung ein wachsames Auge auf die hier noch umhergehenden Nachtschwärmer hielten.
Langsam wurde es heller, die Anzahl der Lichter erhöhte sich je näher sie dem Zentrum der Parkanlage kamen. Langsam wuchs Palais du Roi, ein weitläufiger Schlossbau im alten Stil der endurellischen Könige, umgeben von einer weiß gekalkten Zinnenmauer, zu voller imposanter Größe heran. Hinter der Mauer, die mehr der Zierde als dem Schutz diente, erstreckten sich noch einige kleinere Gärten, zusammengefasst in einer zweiten Parkanlage, die allerdings in ihrer Pracht nicht mit der Hauptanlage konkurrieren konnte.
Eigentümlich dunkles glänzendes Gold und Silber zierte das Strebewerk.
Die Wachen am einzigen Tor der inneren Mauer erkannten den Pagen Alrico auf dem Kutschbock der Karosse, konnten das Wappen auf den Türen erahnen und wussten so auch, das sie ihn unbehelligt seines Weges ziehen zu lassen mussten.
Vermutlich, so dachten die meisten Wächter, wohl wieder mal eine weitere Gesellschafterin oder der gleichen, für einen Gast oder gar den König selbst.
Einzig Alrico wusste immer, wer in der Kutsche saß, und in diesem Fall war ihm auch bekannt, das es der Wolf im Schafspelz, im Inneren der Karosserie war, den die Soldaten in dieser Nacht einließen.
Abseits der meisten Lichter hielt die Karosserie im Norden des beeindruckenden Schlossbaues, nahe einem kaum beachteten Seiteneingang, durch den man hinter die Kulissen der Oper, die im Nordflügel untergebracht war, gelangte.
Alrico führte den Mann mit in eine seit langem nicht mehr offiziell benutzte Wachstube.
Hier war eine Ecke mit Vorhängen abgetrennt hinter denen Wasserkaminen und Schüsseln, so wie saubere Kleidung für den Gast zur Verfügung standen.
„Ihr könnt euch hier den Straßenstaub abwaschen und umkleiden, ich werde derweil eure Ankunft melden und gleich zurück kommen um euch dann den Weg zu weisen!“ erklärte Alrico und deutete an, die Stube zu verlassen, als die heisere, dunkle Stimme des Mannes ertönte.
„Wartet!“, Alrico verharrte Augenblicklich in seiner Haltung.
„ji,…ja…“ frage der Page zögerlich.
„Ihr denkt doch nicht, dass ich euch einfach gehen lasse,…“ sagte der Mann und hob ein wenig den Kopf, so das er Alrico besser sehen konnte, „Oder?“ fügte er hinzu.
„Äh, nun ja, ich könnte warten, wenn ihr es wünscht,… doch schneller wäre es,…“ stammelte er verunsichert, als der Mann ihm einen Silberling herüber warf.
„… ohne Trinkgeld?“ fragte er.
Die Angst des Pagen, der die Silbermünze fing, gefiel ihm.
„…den Weg finde ich gleich alleine!“ fügte die Gestalt hinzu und wendete sich dann von ihm ab um sich des Staubs und Drecks, so wie der feuchten Kleider zu entledigen. Alrico stand noch ein Moment verunsichert da, bevor er die Münze einsteckte und den Raum so schnell wie möglich verlies. Nun musste er seinem Herren nur noch die Anwesenheit des erwarteten Gastes verkünden, und danach, so hoffte er zumindest, würde er für den Rest des Abends vom Dienst freigestellt werden.
Wenig später verließ der Mann die ehemalige Wachstube. Er folgte langen Korridoren und vertrackte Treppenfluchten, immer weiter ins Schloss innere. An den größeren Fenstern der Korridore, die alle samt nur schwach durch Kerzen erleuchtet waren, konnte er nach draußen, über die Mauern Hinweg in die Nacht hinaus schauen.
Hinter einer rötlichen Tür aus Blutulmenholz lag der holzgetafelte Kabinettssaal, ein ehr bescheidener kreisförmiger Saal der einen Durchmesser von ungefähr fünfzig Schritt besaß.
Umrahmt wurde der Raum, durch eine in einer Höhe von fast vier Schritt und auf schweren Säulen ruhenden Galerie.
Zwischen den Säulen, sah man von den beiden einzigen Zugängen des Raums ab, waren weiße Seidentücher gespannt hinter denen man immer wieder aus dem Augenwinkel vereinzelte Schatten vorbeihuschen sehen konnte, ohne sich wirklich sicher sein zu können, wirklich einen jener Schatten gesehen zu haben, denen der Saal seinen Name verdankte – das Schattenkabinett.
Die Schatten selbst konnte man nur selten am Rande wahrnehmen, doch konnte man stehts hinter den Tüchern ein leises mehrstimmiges Stimmengewirr vernehmen, leises rumoren, Kelche klirren und gelegentlich auch mal einen Becher zu Boden stürzen hören.
Gegenüber dem doppel-flügeligen Eingangsportal, in der Mitte des Kabinettsaals, stand auf Empore eine prunkvolle Tafel um die herum mit vierzehn, mit rotem Samt bezogene Lehnstühle standen, die jedoch nur selten mal alle besetzt waren.
In der Mitte des Tisches, auf einem Dreibein ruhend, ein schwarzes, mit einem Ring von Glyphen verzierte Kugel von der Größe einer Honigmelone – ein altes Relikt, aus längst vergessener Vergangenheit dieses, oder eines anderen Landes.
Zwei Athos-Geweihte begleiteten den städtischen Herold Drego von Engelsbruch sicheren Schrittes auf den Marktplatz der Stadt, wo sich schnell um die drei Personen ein kleinere Menschenmenge sammelte, um erwartete Neuigkeiten vom Herold zu erfahren, doch dazu kam es nicht.
Grade als der Herold die Schriftrolle verlesen wollte, wurde die grade über dem Marktplatz hereingebrochene Stille durch das Hufgeklapper mehrere Pferde und einen knarren Ochsenkarren unterbrochen, begleitet von den laut ausgestoßenen Verwünschungen eines Söldners.
"Verdammtes feiges Pack,… verfluchte Wälder,… verfluchte Viecher,… feige Weiber!" tönte es immer wieder vom Karren in die Menge, wo sich im Stroh zwei verwundete Söldner nieder gelassen hatten. Anfangs versuchte der Herold das aufkommende Durcheinander, die Unruhe in der Menschenmenge und den Söldner zu maßregeln, doch vergebens.
Der Söldner, ein überaus direkter Mann, erschien gleich vom ersten Moment an wie ein altgedienter Haudegen, dessen wettergegerbte Haut davon zeugte, das er in seinem Leben bereits viel herum gekommen zu sein schien, manch Gefahr direkt ins Auge geblickt hatte, und hierbei auch eines von ihnen verlor. Unter seinem Helm war, als er sich auf dem Karren aufrichtete und den Herold so wie die Menschenmassen musterte, deutlich eine Narbe zu erkennen, die vom Haaransatz sein Gesicht ungleich teilte, jedoch durch eine Augenklappe teils verborgen war.
Der Herold forderte den Söldner auf sich zu erklären, wofür er einen äußerst gereizten Blick entgegen geschmettert bekam, der deutlich machte, das dieser Söldner es nicht gewohnt war Befehle entgegenzunehmen, sondern eher zu erteilen, wie er es den Herold in einem kurzen Wortgefecht spüren ließ.
Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf den Söldner, was den Herold und seine Begleiter zunehmend in den Hintergrund drängte, doch den Söldner nicht daran hinderte, den Herold noch einige Sätze entgegen zu schmettern, bevor dieser sich zurückzog. Es war die Gunst der Stunde und der Einsatz von Schlagwörtern, die die Menge den Herold und die beiden Geweihten vergessen ließen.
Dann, während ein Medicus seine Kameraden versorgte, stieg der Söldner vom Karren ab und begab sich an einen von der Menge herangetragenen Tisch, wo er sich auf einem Hocker niederlies und zu berichten begann, woher seine all zu offensichtliche schlechte Laune ihren Ursprung hatte.
„Ich suchte Leute für eine Wolfshatz,… und was bekam ich – feige Weiber! Die ersten hatten schon in die Hose gemacht bevor wir die Stadt verlassen haben. Die mutigen Mannen dieser Stadt, ein Teil lief kurz vorm Waldesrand davon, weil Gerüchte die Runde machten. Sie redeten von besonders bösen Bestien, von dunkler Magie und dergleichen, so dass sich die Männer im Forst vor ihren eigenen Schatten fürchten. Ich rief zur Ordnung. Dann teilten wir uns. Die einen errichteten ein kleines Lager aus Reisig, Ästen und Gestrüpp, während die anderen Wolfsgruben aushoben - da verschwand einer der Männer, als er austreten musste. Der Rest befürchtete, dass er geholt wurde. Aber, das versichere ich euch, weil ich es bereits hundert Mal erlebte bei anderen,… so mutigen Männern,… der ist Heim gelaufen zu seiner Mama,… der Waschlappen,… das feige Weib! Als die Gruben fertig waren, ruhten wir für die Treibjagd aus. Wir sind dann in der Dämmerung aufgebrochen,… mit Fackeln,… Trommeln und allerlei Hunden. Dann, als wir in ausreichender Entfernung die Gruben so umgangen hatten das wir alles Vieh was sich in dem Tann befindet in deren Richtung treiben konnten,… schlugen plötzlich die Hunde an. Wir waren uns zuerst nicht sicher, was für Getier sie nun gewittert hatten,…bis einige Männer das kehlig, heisere Knurren eines Wolfsrudels vernahmen. Die Treiber ließen also ihre Hunde los,… die sonst Schwarzwild und Bär stellten,… unter schlimmeren Bedingungen als die im Wald. Wenige Augenblicke später winselte der erste von denen, und sein Besitzer, dieser Narr, lief nur mit einem Knüppel bewaffnet sofort hinterher! Wir wollten ihm nach, doch dann lies ich sie alle Still stehen und keinen Mucks mehr von sich geben. Gelegentlich hörten wir die Hunde bellen,… doch die interessierten mich nicht,… mich interessierte viel mehr das Wolfsrudel,… dessen Knurren plötzlich aus allen Richtungen an meine Ohren halte. Wir trennten uns, bildeten kleinere Jagdgruppen, drei bis fünf Mann, Knechte mit Fackeln, Jäger, Forstknechte, Bauern, Milizionäre und Söldner, und suchten nach dem der mit dem Knüppel seinen Hunden zur Hilfe hinter her eilte. Irgendwer fand dann den einen Hundebesitzer auf einem Baum sitzen, den Knüppel hatte er nicht mehr bei sich, einer seiner Hunde lag wenig entfernt vom Baum,… wie ich später sah,... mehr oder weniger war noch von ihm übrig. Der Kerl war vollkommen verängstigt, das feige Weib! Wir fingen an uns wieder zu sammeln, die Fackeln zeigten uns den Standpunkt der anderen Gruppen. Keiner ist bei dem ersten Versuch verloren gegangen, nur viele Hunde kamen nicht mehr zurück. Ich weiß nicht wo die geblieben sind,… ob sie davon gelaufen sind oder wie der andere,…
Dann beschlossen wir, uns ins Lager zurück zu ziehen,...Lodow, Ledjolf, Ladegast? Wie war noch der Name des Meuteführers, er will mir einfach nicht mehr einfallen! Er sprach kaum was, saß nur am Feuer und blickte immer hektisch um sich. Die verbliebenen Hunde waren sehr nervös und angespannt. Die Wölfe sind um den Sträucherwall geschlichen, wir konnten sie hecheln hören, einige Jäger schossen Bolzen und Pfeile in die sich ausbreitende Dunkelheit. Ziemlich töricht war das,… nur verlorene Schüsse! Einige legten sich nieder und ruhten, nur Lodow-Ledjolf, der saß die ganze Zeit am Feuer,… hat zu viel Holz in die Flammen geworfen. Er hatte verdammt viel Angst und irgendwann erzählte er dann auch noch was von roten Augen in der Dämmerung. Augen, blutrot im Fackellicht - wie er sie noch nie bei einem Hunde oder Wolf gesehen haben will,…
Wir dachten, und ich denke immer noch, dass er sich das eingebildet hat. Ich bin Söldner, kein Jäger,… aber was er gesehen hat wird nur ein besonders Großer, und wilder Leitwolf gewesen sein. Mitten in der Nacht schlugen die Hunde wieder an, nur sie bellten nicht, sie winselten, klemmten den Schwanz zwischen die Hinterläufe, drängten sich an ihre Führer. Die Mistviecher von Wölfen knurrten lauter und näher. Diese Viecher kannten keine Angst vor Menschen. Eine Weile ging das so, bis der erste Wolf frecher Weise über das Gestrüpp sprang. Lodjolf oder so, plötzlich sprang purer Hass aus seinen Augen, griff einen brennenden Holzscheid und ging den Wolf, der nun in der Bedrängnis saß damit an! Er erschlug ihn eigenhändig! Als wir dessen Wimmern vernahmen, ging sein Mut auf die anderen Männer über, einige griffen Fackeln, Knüppel, Äxte und Waffen, kletterten über den Wall und liefen mit gellenden Kampfschreien in die Dunkelheit, wir jagten die Viecher – ja sollte es sein! Bis dieses Jaulen erscholl, laut, mächtig und durchdringend, da war es dann vorbei mit dem Mut und die Meisten liefen in Richtung Wolfsgruben, der Rest, so wie ich, stand im Dunkeln da,… sehr schlecht. Man konnte einige Männer fluchen und kämpfen hören, ich habe Bissspuren am Schwertarm, das Mistding könnte ich noch abwehren, ich hoffte ich hatte es erlegt, ich habe nicht nachgeschaut ob der Wolf entleibt war. Ich rief den Haufen wieder zusammen. Dann traten wir den Rückzug an,… aus diesem elendigen Wald. Ich weiß nicht wie lange wir marschierten. Ich weiß nicht ob wir jemanden verloren haben oder was aus den ersten Flüchtenden geworden ist. Mein Haufen ist zwar nicht heil, aber lebend aus dem Tann raus gekommen! Was den Mut der Männer anbelangt,… einige wimmerten oder fluchten ob des großen Viechs das Lodjolf gesehen haben wollte. Gross sagen einige, mehr Bär als Wolf, Nachtschwarz, und Lodjolfs besagte Augen, Rote, blutig schimmernde Augen wollen sie alle auf einmal gesehen haben. Einer meinte sogar, dass es das Vieh gewesen wäre, das mich am Arm erwischte! Ihr müsst wissen, das Vieh sprang mich aus dem Nichts heraus an und erwischte mich am Schwertarm. Ich selbst konnte es nicht sehen, aber ich konnte im richtigen Moment, reflexartig richtig reagieren.“
Später zu einer Bardin, die sich an seine Seite gestohlen hatte um ihm einige Fragen zu stellen, während die übrigen Anwesenden versuchten ein wenig Wein und einen Becher für den Söldner zu besorgen.
"Der Krug Wasser muss erstmal genügen,… glaubt ihr nicht, das es was anderes war als ein Wolf?" fragte sie ihn interessiert, wahrscheinlich um dies als Stoff für eine neue Helden-Ballade zu benutzen. Da hob er den Kopf und schaute sie verwundert an. Sein Blick schien ähnlich fragend, wie der des Herolds als der Karren zu Beginn auf den Marktplatz rollte.
„Kindchen, was soll es gewesen sein wenn kein Wolf? Ich sage doch,…Es war ein besonders großer, alter Wolf, und die roten Augen werden wohl nur wegen des Fackelscheins rötlich geschimmert haben. Aber vielleicht hatte das Vieh ja auch die Tollwut,… oder war verwundet,… hat schon mal ein oder zwei Menschen erlegt,…
Die anderen Männer faselten was von Fluch oder Ungetüm. Ich glaube nicht das dass ein verfluchter Wolf war. Mit den Geschichten des Mannwolfs oder sonstigen Spinnereien kann man nur kleine Kinder, Jungfrauen und Hinterwäldler erschrecken."
„Was ist mit den Toten und den Flüchtigen?" soll die Bardin ihn harmlos gefragt haben.
„Die Flüchtigen werden sich nach Hause gestohlen haben, zu Weib und Kindern. Was die Mistviecher belangt, muss man den Wald ausräuchern, alles niederbrennen. Jeden Strauch, Busch, jede Höhle zuschütten. Und GROSSE BISSIGE, Hunde braucht man dafür. Und die Jäger,… keiner der Jäger ist tot, solange keiner eine Leiche aus dem Wald geholt hat, ihr wisst doch sicher,… die Hoffnung stirbt zuletzt!“.
Die Bardin lächelte und schenkte ihm etwas herangebrachten Wein ein. Sie wartete einen Moment, bis er den Becher zum Trinken ansetzen wollte und fragte dann,… „Hofft ihr deshalb, dass es sich nur um einen Leitwolf handelte?“ worauf hin er in seiner Bewegung verharrte und sie über den Rand des Bechers mit einem stechenden Blick musterte, woraufhin sie gleich nachsetzte, …
„Nun gut,… aber wie wollt ihr den `großen, alten Wolf` erlegen? …die meisten Männer werden euch wohl nicht mehr zur Verfügung stehen?“, woraufhin der Söldner sich verhalten ein Lächeln abrang.
„Ich weiß nicht ob ich mich nochmal dazu herniederlasse Wölfe zu jagen. Das ist schon was anderes als der Kampf auf dem Schlachtfeld - sollen das doch irgendwelche Helden übernehmen!“ erwiderte er.
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