Was für eine Verschwendung! Das war eine Weile lang der vorherrschende Gedanke Arlin Vitos. Eigentlich nicht verwunderlich, den so viele Strapazen schienen umsonst. Wochenlanges Reisen als unterprivilegierter Passagier auf einem Schiff, Piraten, Riesenkraken, Stürme, Klabautermänner… und nicht zuletzt die wenig Magenschonende Seekrankheit – dazu die scheinbar endlose Schmach, dass die zierliche, blonde auretianische Schönheit, wegen der er überhaupt diese lange Reise angetreten hat, ihn während der ganzen Zeit nicht eines Blickes gewürdigt hat.
Dabei hat er sich so sehr bemüht neben der auszehrenden Arbeit auf dem Schiff doch noch irgendwie in ihre Nähe zu gelangen. Aber es gibt eben Bereiche auf so einer Karavelle, die den adligen Passagieren allein vorbehalten sind. Es zeichnete sich auch zusehends ab, dass die adrette Grafentochter wenig Ambitionen hatte, den aufregenden Moment der Verruchtheit und Gefahr zu kosten, und sich auf ein Anbandeln mit einem Standlosen einzulassen. Für die einfachen Matrosen hatte sie offenkundig nur Verachtung und Ekel übrig und für anderes Gesindel noch weniger. Und Seemann ist Arlin nun wirklich nicht. Der Punkt einer letzten vagen Hoffnung, die anmutige Adlige in irgendeiner Form zu gewinnen, war auch schon lange vergangen, als sich bei ihm eher Verwunderung darüber breitmachte, wie man sich gegenüber anderen Menschen so ungleich fühlen kann.
Die Letzte Attraktivität verlor sie an jenem Mittag, als der arme Sigurd aus der Takelage stürzte und sein Kopf auf den Planken zerbarst. So schrecklich, wie dieser Anblick für Arlin war – er konnte Sigurd schon nach wenigen Wochen recht gut leiden – so sehr schien ihn die kleine wie kaltherzige Contessa Madeleinne zu amüsieren. Schadenfreude in Angesicht eines tragischen und tödlichen Unfalls war trotz der Fülle an vorhandenen Gesetzen von der Obrigkeit nicht verboten. Sehr wohl aber wäre es strafbar gewesen sie ob ihres unmoralischen Sardismus zurechtzuweisen. Aber es wäre ohnehin viel weniger Arlins Art gewesen als sie – und dieses ganze Unterfangen – still zu bedauern.
In Genova angekommen war es endlich Zeit diese Passage hinter sich zu lassen. Nicht nur die Schiffspassage, sondern überhaupt die ganze Gesellschaft aus betrunkenen Matrosen, die Contessa, das Selbstmitleid und die Reue über eine vermeintlich falsche Entscheidung. Denn es war keine falsche Entscheidung hierherzukommen. Es war lehrreich: Sich von Äußerlichkeiten nicht Blenden zu lassen und dass jede Erfahrung im Leben einen Wert hat, der nicht mit Gold aufzuwiegen ist – ganz besonders, wenn man sowieso weder Heim noch echtes Ziel hat – das sind Einsichten, die Arlin nicht vergessen wird.
Darüber hinaus scheint dieser milde Landstrich unfassbar schön zu sein…
Fortsetzung folgt...