Insel der Abenteuer

Kaiserreich, Fürstentum Thelessa...

Insel der Abenteuer

Beitragvon Enki » Do 08 Nov, 2012 21:03

Spoiler:
Eigentlich Alriks nicht immer ganz ernst gemeintes Tagebuch, es darf aber auch gern ein rp auf Thelessa daraus werden :D


Wie Alrik ein Abenteurer wurde

Insel Thelessa, irgendwo zwischen Vierwegen und Semjan.

Thelessa. Hierhin hatte es Alrik-ohne-einen-richtigen-Namen also verschlagen. Es hatte den jungen Mann nicht interessiert, wo das Schiff anlegen würde, auf das er sich als blinder Passagier geschlichen hatte. Wichtig war nur gewesen, von dem Ort zu entkommen, an dem der Segler abgelegt hatte.
Und so streifte Alrik nun über die Insel, immer nach einer Möglichkeit Ausschau haltend, genug Groschen zu verdienen, um den nächsten Tag zu überleben, ohne sich dabei zu fest an einen Ort zu binden.

An einem dieser Tage sprach er einen Greis an, der am Wegesrand stand. Kaum hatte Alrik sein "Lhaja zum Gruße" ausgesprochen, brach ein ärgerlicher Wortschwall über ihn herein, der in der Feststellung kulminierte:
"Diese Insel braucht noch mehr jungspündige Abenteurer wie... wie..."
Dem alten Mann schienen die Worte zu fehlen. Aber die Sonne schien, Alrik hatte gut gegessen und fühlte sich daher zu gut, um den Ärmsten weiter herumstammeln zu lassen. Daher sprang er hilfreich ein: "Wie Warzen!"
Dabei handelte es sich vielleicht nicht um die einfallsreicheste Antwort, doch sie erschien dem jungen Mann passend. Zur Bekräftigung seiner Worte nickte er noch einmal und fügte hinzu: "Ja, das finde ich auch."
In Wirklichkeit war es ihm egal. Alrik kannte weder Abenteurer persönlich, noch kannte sich gut genug auf der Insel aus, um beurteilen zu können, ob ein Zustrom an Abenteurern nun gut oder schlecht für Thelessa wäre.
Er wollte einfach nur höflich sein. Hätte der Südsterner ahnen können, was er mit seinen unschuldigen Worten auslöste? Eine Schimpfkanonande, die bis nach Vellhafen zu hören war?!
Als dem Greis die Worte ausgingen, schlug er mit seinem Stab nach dem völlig baff vor ihm stehenden Besucher der Insel. Alrik schnappte nach Luft. Was bei allen Göttern hatte er denn bloß falsch gemacht?
"Mach! Dich! Nie! Wieder! So! Lustig! Über! Mich!"
Alrik war praktisch mit mehr Prügeln als Grütze großgezogen worden, die paar Hiebe mit dem Stock schreckten ihn weder, noch schmerzten sie sonderlich. Was weh tat, war die Demütigung, denn die Attacken fühlten sich eher nach einer Bestrafung als einem Angriff an.
Irgendwas habe ich grundfalsch gemacht... autsch.
"Aber wenn du schon selbst einsiehst, dass du hier nicht erwünscht bist..." keuchte der Alte.
Alrik lächelte. "Ach so! Ihr habt mich für einen Abenteurer gehalten!" sprach er erleichtert.
"Was willst du denn sonst sein, hm?"
"Ich..." Alrik stockte. Verdammt! Was sollte er antworten? Dass er ein flüchtiger Sklave sei, der stets auf der Hut sein musste, nicht eingefangen und in die Arena zurückgeschleift zu werden? Nein, es gab Umstände, unter denen man iatangefällige Wahrheit besser für sich behielt.
"Doch, na klar, ich bin ein Abenteurer", "gestand" der junge Mann daher. Dann sah er zu, dass er Fersengeld gab, denn so zerbrechlich alte Leute oft wirkten, so zäh musste jeder sein, der dieses Alter erreicht hatte. Besonders in diesen ungesunden nördlichen Breiten!

Seinen Weg fortsetzend sprang Alrik gekonnt über eine Pfütze. Sein Körper erledigte die Bewegung von selbst. Die Beine und Hände, ja, selbst die Sinne waren auf Automatik geschaltet (ein sehr treffender Zwergenausdruck, das Alrik einmal aufgeschnappt hatte). Seine geistige Kapazität benötigte der junge Mann, um sich über diese Abenteurer-Sache klar zu werden.
Natürlich kannte er das Wort. Es gab Liebesabenteuer, Ritter zogen auf Aventüren aus und dergleichen mehr. So etwas passierte ständig in Märchen, dafür waren es ja Unterhaltungsgeschichten!
Doch hier im Norden wurde offenbar jeder, der sein Haus verlies, von der Bevölkerung unterschiedslos zum Abenteurer erklärt, ob es sich nun um Gesellen auf der Walz, fahrende Musikanten oder Vogelfreie handelte.
Es war ja nicht der alte Mann, bereits vorher hatten einige Inselbewohner und sogar eine (überaus bunt zusammengestellte) Reisegruppe aus fernen Landen Alrik ganz selbstverständlich als einen Abenteurer angesprochen.
Der Südsterner wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Ja, er hatte die eine oder andere abenteuerliche Situation überstanden, doch sah er sein Lebensziel nicht daran, gezielt noch mehr davon zu suchen. Man bereitete sich so gut man konnte darauf vor, derartige Ausnahmesituationen zu meistern, aber wer, der noch bei gesundem Verstand war, würde die Suche danach zum Selbstzweck erklären?!
Oder täuschte sich Alrik und all diese Menschen zogen tatsächlich aus, um sich bewusst in Gefahr zu begeben? Passierte das, wenn man zu behütet aufwuchs? Ging es den Menschen hier zu gut, oder was?! War die Abenteuersuche in diesem Fürstentum vielleicht ein Volkssport? Erwartete man von seinem Nachwuchs, sich eine Weile als Abenteurer zu betätigen, bevor man diesen zu einem mündigen Mitglied der Gesellschaft zu erklären bereit war?
Die spinnen ja, die Thelesser! Sei es, wie es sei, dieses merkwürdige Steckenpferd verschafft mir eine wundervolle Rechtfertigung dafür, mich schwer bewaffnet weit weg von zuhause herumzutreiben.
Alrik grinste in sich hinein.
Von jetzt an bin ich dann wohl ein Abenteurer. Klingt doch deutlich besser als mittelloser Herumtreiber oder Flüchtling.
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Re: Insel der Abenteuer

Beitragvon Enki » Sa 10 Nov, 2012 15:57

Erfolgreiche Flucht, aber auch ein Ziel?

Ort: Immer noch Thelessa, ein Bauernhof etwas südlich von Semja.
Zeit: Sommer

Alrik lag im hohen Gras und starrte in die Wolken. Sein Bauch hob und senkte sich in kurzen Abständen, Schweiß rann seine Wangen herunter oder trocknete schon unter dem Hemd. Er würde sich später waschen, nahm sich der Herumtreiber vor... vielleicht.
Viel wichtiger als die Frage danach, wie sein Körper roch, war doch, dass er funktionierte! Auf dem Rücken liegend wickelte Alrik daher die Lederbänder neu, die Unterarm und Handgelenk schützen und stützten. Man vernachlässigte so viele Kleinigkeiten, die sich irgendwann in Summe rächten...
RITSCH!
"Verdammter Mist!" zischte Alrik, als eines der strapazierten Bänder riss.
"Kann ich helfen?"
Eine weibliche Stimme. Alrik drehte den Kopf. Er erkannte eine der Mägde des Gutshofes, auf dem er den Vormittag über ausgeholfen hatte. Ihr rotblondes Haar war im nordahejmschen Stil zu dicken Zöpfen geflochten, die ihr verspielt über die Schulter auf die Brust fielen. Braune Augen blickten freundlich in die Welt, doch in den Augenwinkeln lauerte der Schalk in der ach so unschuldig wirkenden Jungfrauenfassade.
Alrik leckte sich unwillkürlich nervös über die Lippen. Vielleicht war das mit dem Waschen ja doch keine so schlechte Idee...?
"Üm-üm", erwiderte er, die nutzlos gewordenen Bänder fortwerfend. "Dein Bauer hat mich gut bezahlt. In der nächsten Stadt kaufe ich mir ordentliche Handschuhe von meinem Lohn."
Der Blick des Mädchens folgte den Lederstreifen. "Ich kann mir nicht helfen, für mich sieht sowas immer wie Fesseln aus", meinte sie. "Aber ihr Abenteurer wisst schon, was ihr tut, gell?"
Alrik nickte stumm.
"Ruh dich eine Runde aus bis es Mittag gibt. Dann kannst du uns ja ein bisschen von deinen Erlebnissen erzählen! Die anderen würde sich bestimmt freuen. Ich... äh... würde mich... auch freuen."
Oh, ja, der Nachmittag versprach eindeutig, interessant zu werden!

Die Magd entfernte sich wieder. Alrik sah ihr eine Weile nach. Sein Blick blieb auf einer alten, nur noch halbhohen Steinmauer ruhen. Kletterpflanzen wucherten an dem Mauerwerk. Alrik erkannte in Dolden stehende Blüten, wusste aber nicht den Namen des Efeugewächses zu nennen.
Die meisten Pflanzen der Insel waren ihm unbekannt, doch plötzlich traf den Reisenden eine Erkenntnis: Hatte er nicht die Dolden als solche erkannt? Gewisse allgemeine Prinzipien waren eben überall gleich, egal, an welch exotische Orte es einen verschlug.
Alrik kannte botanische Kriterien, konnte gesammelte Pflanzen haltbar machen, wusste, dass man den Vorgang auch "Konservieren" nannte und war in der Lage, einige gängige Auszüge herzustellen. Er konnte alkoholische Lösungen zubereiten, Glasgeräte reinigen und alchemistische Apparaturen funktionstüchtig zusammenbauen. Alrik wusste außerdem, wie man Tiere versorgte, sie ruhig hielt, ihr Vertrauen gewann... und auf Befehl eines anderen brach.
Als gelehriger Schüler hatte der südsterner Sklave es ebenso mit seinem Herrn gehalten: Versorgen, Vertrauen aufbauen und dann töten.
An diesem Vormittag, eine halbe Welt von daheim entfernt, ging dem jungen Mann auf, wieviel mehr als Morden er in seiner Kindheit gelernt hatte. Vieles war durch den Schwertdrill in der Arena verschüttet. Alriks Heilkünste beschränkten sich darauf, einen Verband anzulegen, der zuverlässig hielt. Doch wie bei einem gefällten Baum steckte der Stumpf seines Wissens noch fest in der Erde und konnte wieder austreiben.

Ich war auch Dieb und Hausdiener, überlegte Alrik. Aber daran anzuknüpfen verspüre ich kein Interesse. Naja, ich greif schon mal in eine fremde Tasche, doch es würde mir im Traum nicht einfallen, das zu meinem Lebensinhalt zu machen, meine Ink... Iten... Idendä... wie immer dieses Wort nochmal hieß davon abzuleiten.
Wieso? Weil es länger zurückliegt als meine Gefangenschaft bei dem Alchemisten?


Ein kleiner Käfer mit auffällig schillernden grünem Panzer wanderte auf seinem Bauch herum. Alrik beobachtete das Tier eine Weile, dann lies er es auf seinen Finger klettern. Der Südsterner richtete sich auf, das Tier noch immer auf der Fingerkuppe. Sachte setzte er es auf einem Strauch ab. Alrik hatte zu oft Leben genommen, um auch nur ein einziges Krabbeltierchen beiläufig zu zerquetschen.
Dennoch ruhte seine linke Hand ganz selbstverständlich auf seinem Langschwert, das Alrik selbst während der Arbeit im Stall nicht abgelegt hatte.
Ein schwertschwingender Heiler-Alchemist, was für eine Kombination! Alrik musste selbst darüber schmunzeln. Aber wer weiß, vielleicht konnte es ja doch gut gehen?
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Re: Insel der Abenteuer

Beitragvon Enki » Di 13 Nov, 2012 17:08

Eine elfische Weisheit

2 Wochen später betrat Alrik den öffentlichen Hörsaal der Fürstlichen Universität in Faelughafen. Diese Bildungsanstalt stand jedem offen, der das nötige Geld vorweisen konnte. Dementsprechend bunt gemischt war auch das Publikum. Allerlei Volk hatte sich versammelt, um einem Vortrag über Botanik zu lauschen.
Da gab es eine Wanderscholarin, die gerade ihre Pergamente, das Tintenfass und zehn der Größe nach sortierte Federkiele Kante auf Kante ausrichtete, einen Reiseberichterstatter aus Auretianien, einen Fischerbub, der bei seiner in Blumen vernarrte Freundin Eindruck schinden wollte und sogar einen jungen Burschen, den ein Büttel in Ketten aus dem städtischen Kerker heraus zum Unterricht führte. Seiner Gewandung nach handelte es sich um einen wohlhabenden, möglicherweise adligen, Jüngling, der selbst in seiner misslichen Lage noch Privilegien genoss.
Alrik schnaubte verächtlich. Den in ihm aufsteigenden Neid auf den solcherart bevorzugten Jugendlichen niederkämpfend, nahm er in der hintersten Reihe neben einer zwergischen Prospektorin Platz. Die Stühle zu seiner linken blieben frei.
Alrik lehnte sich zurück. Es roch nach Holz, Lack, Tusche und dem Öl, mit dem die Zwergin ihre Lederrüstung pflegte. Kreidestaub hing in der Luft. Der Stuhl hätte bequemer sein können, aber der Raum war durch die großen Fenster hell und die Sitzreihen, von denen jede höher als die vorherige war, ermöglichten freie Sicht auf die Tafel und das Rednerpult des Dozenten.

Sechs Stunden, zweimal drei mit einer Pause dazwischen, sollte die Lektion dauern, welche die Pflanzenwelt der Insel zum Thema hatte. An diese sechs schloss sich eine siebte Stunde an, die einer abschließenden Prüfung jedes einzelnen Kursteilnehemrs vorbehalten sein sollte. Am deren Ende winkte ein Zertifikat, das dem Schüler ermöglichte, auf dieser Vorlesung aufbauende Kurse an der Akademie zu besuchen.
So mancher Kursteilnehmer, darunter die Studentin und eine weit vorn sitzende Elfe, verfügten bereits über das heute zu vermittelnde Wissen. Sie nahmen nur an der Veranstaltung teil, um das Zertifikat zu erwerben.

Wenige Minuten, nachdem Alrik den Saal betreten hatte, traf der Dozent ein und nahm seinen Platz hinter dem Pult ein.
Auf seinen Ausbilder herabzuschauen, war neu für Alrik. Auch in der Gladiatorenschule hatte es natürlich Theorieunterricht gegeben. Nicht unbedingt für die verurteilten Verbrecher, die eigentlich nur zum Schaufressen in die Arena geschickt wurden, aber sehr wohl für die Sklaven, deren Besitzer erwarteten, einige Jahre lang Profit aus ihnen zu ziehen. Am Ende waren sie natürlich ebenso entbehrlich wie das zweibeinige Tigerfutter...
"Träumt nicht, sondern hört zu!" schnarrte die Stimme des Dozenten. Alrik bezog einen Satz, der die respektvolle Anrede "Ihr" enthielt, gewohnheitsmäßig nicht auf sich. Der Mann begriff erst, dass er gemeint war, als ihm seine Nachbarin den Ellenbogen in die Seite stieß. Alrik grinste die Zwergin entwaffnend an. Diese grinste zurück.
Der Abenteurer war nicht der einzige, der das Missfallen des Gelehrten erweckte. "Schwatzt nicht", "Kaut Euren Tabak weniger geräuschvoll" und "So halt endlich deine Füße still!" waren nur einige der Ermahnungen, die während des Unterrichts fielen. Dagegen hörte sich ein "Träumt nicht" noch ganz gut an. Nur, dass Alrik eben nicht geträumt, sondern eine düstere Erinnerung noch einmal durchlebt hatte. Ein gutes Gedächtnis konnte mitunter eben ebenso hinderlich wie hilfreich sein.

Die Zeit verflog beinahe. Gern hätte Alrik mehr gehört, war er doch der Meinung, sich alles gut gemerkt zu haben, was der Dozent seinen Schülern erklärt hatte. Doch dafür würde es noch genügend Chancen im Fortgeschrittenenkurs geben.
Frohen Muts trat Alrik daher als erster wieder in den Raum, als der Kursleiter die Teilnehmer am späten Nachmittag zur abschließenden Prüfung aufrief.
Auf den Tischen der ersten Sitzreihe lagen zu Broschüren vernähte beschriebene Blätter bereit. Einige Exemplare stammten sogar aus einer Druckmaschine. Zeichnungen von Pflanzen und Pflanzenteilen lagen daneben, teils in Form von Holzschnitten, teils von Hand ausgeführt. Es handelte sich um Schaubilder und Bestimmungstabellen.
"Licias Weisheit mit Euch, Alricio!" meinte der Dozent, Alrik mit dessen derzeitigem Decknamen ansprechend. "Ich erwarte eine einfache Pflanzenbestimmung. Sagt mir, was das für ein Gewächs ist und Ihr erhaltet Euren Schein. Befindet Ihr Euch darüberhinaus in der Lage, mir noch einige zusätzliche Fragen zu beantworten, benote ich Eure Leistung entsprechend."
Der Gelehrte drehte eine Sanduhr um und legte gleichzeitig eine Pflanze mit langer Wurzel und fünf violetten Blütenblättern vor Alrik auf ein Holzbrett.
"Benutzt zur Bestimmung, was immer Ihr benötigt. Eigene Aufzeichnungen dürfen verwendet werden."
Alrik nickte. Mit Pinzette und Lupe machte er sich ans Werk. Wie man die Tabellen benutzte, hatte er ja an diesem Tag gelernt. Doch welchen Ansatz er auch wählte, ob er sich Aufbau der Blüte oder der Blattform der ihm vorgelegten Pflanze orientierte, es wollte einfach nichts Sinnvolles herauskommen. Als die Sanduhr abgelaufen war, musste Alrik sein Unwissen eingestehen.
"Thelasskraut", sprach der Dozent. "Es handelt sich um Thelasskraut. Ich habe dieser Pflanze eine ganze Stunde meines heutigen Vortrags gewidmet!"
"Dann müsste die Blüte dunkelblau sein!" protestierte Alrik.
"Außer, sie wäre bei Sonnenaufgang geerntet worden", rügte der Botaniker seinen Schüler. "Habe ich nicht darauf hingewiesen, dass die Blüten des Thelasskrauts um diese Stunde herum violett schimmern?!"
Der Mann lies Alrik keine Chance zu antworten. In vorwurfsvollem Tonfall sprach er weiter: "Ihr hättet diese Prüfung mit Bravour bestanden, wärt Ihr euch nicht zu fein gewesen, während des Kurses mitzuschreiben! Natürlich kann man immer einmal etwas vergessen, das ist keine Schande. Sechs Stunden lang nur faul in der Bank zu fläzen hingegen ist eine Sünde vor Licia!"
Kopfschüttelnd lies sich der Gelehrte nun über Abenteurer aus, die glaubten, alles zu wissen, zu können und keine Theoriestunden nötig zu haben.
Alrik sah beschämt zu Boden. Was sollte er schon zu seiner Rechtfertigung vorbringen? Dass er weder Lesen noch Schreiben konnte? Oder, genauer gesagt, diese Künste nicht so sicher beherrschte wie seine Mitschüler. Die Bestimungstabellen hatte er zu entziffern vermocht, wenn gleich nur mühsam. Ebenso ging es Alrik beim Abfassen von Schriftstücken. In dem Tempo, das nötig gewesen wäre, um in der Vorleseung nachzukommen, konnte er einfach nicht schreiben. Aufmerksam zuhören oder sich auf die Buchstaben konzentrieren - eines von beiden ging nur.
"Es tut mir leid", endete der Botaniker seine Rede. "Ihr seid ein heller Kopf, Alrico, doch fehlt Euch die Hingabe an die Wissenschaften. Nehmt auf Euren weiteren Weg mit, was Ihr heute gelernt habt, aber erwartet nicht, dass ich Euch für den Fortgeschrittenkurs zulasse!"

Um einiges Faktenwissen reicher, aber ohne das erhoffte Zertifikat in der Tasche, trat Alrik auf den Flur. Anstatt die Bildungsstätte sofort zu verlassen, stellte er sich an ein geöffnetes Fenster und schaute hinaus.
Ein scharfer Wind von der Seeseite blies dem Botanikschüler ins Gesicht. Alrik mochte den Salzgeruch, den er mit sich brachte. Eigentlich, sagte er sich, war es ein erfolgreicher Tag gewesen. Er hatte viel gelernt, wenn auch weniger, als er hätte lernen können. Doch die Demütigung am Ende war schwer zu verkraften, besonders, da nun einer nach dem anderen seiner Mitschüler den Prüfungsraum betrat und mit dem gesiegelten Schein wieder verlies.
"Das war ja einfach!" lachte die Zwergin, die im Hörsaal neben ihm gesessen hatte.
Alrik gab sich einen Ruck. Er scherzte mit den anderen, ging auf ihr Fachsimpeln ein, so gut er es vermochte, doch als man sich zu einem gemeinsamen Umtrunk in die Stadt begegen wollte, schob er vor, eine Stelle als Hilfsnachtwächter angenommen zu haben und deswegen leider unpässlich zu sein.
"Na, dann wissen wir ja, wer uns nachher verhaftet, wenn wir es übertreiben", scherzte eine Wanderscholarin, bevor die Truppe sich entfernte. "Macht es gut, Alricio, Rhea und Lhaja mit Euch auf all Euren Wegen!"

Nur eine Person blieb zurück, die junge Elfe aus der ersten Reihe. Ihrer Kleidung nach handelte es sich um eine Einheimische aus der Siedlung Earan.
Die Elfe stellte sich neben Alrik an das Fenster. Eine Weile standen sie stumm nebeneinander und schauten in die Ferne.
Sie weiß, wie fehl am Platz ich mich hier fühle, begriff Alrik. Sie hat es als einzige erkannt, aber nicht, weil sie über mystische Elfensinne verfügt, sondern, weil es ihr ebensso geht.
Als seine Gedanken soweit gediehen waren, hub die Elfe zu sprechen an: "Zeit, hat einmal eine weise alte Elfe gesagt, ist nur das Ineinander von Raum und Dingen."
"Entschuldige bitte, aber das verstehe ich nicht", antwortete Alrik auf Darkanisch. Es handelte sich um die einzige Elfensprache, die der Südsterner kannte, und in dieser um eine der wenigen Phrasen, die er beherrschte. In der Regel genügte sie aber, um in praktisch jeder Situtation Klarheit zu schaffen.
Die Earanerin kicherte. "Ihr wart am richtigen Ort, aber zur falschen Zeit", erwiderte sie dann lächelnd.
Doch noch immer verstand der Mann nicht, worauf sie hinauswollte.
Die Elfe deutet auf Alriks Schwert: "Was, sagt man, ist mächtiger als das da?"
Unwirsch schüttelte der Menschenmann den Kopf. "Die Feder, aber..."
Die sprichwörtliche "Elfengeduld" außer Acht lassend, unterbrach die Earanerin Alrik: "Genau! Wusstet Ihr schon, dass es ein Amrunhaven eine Schreiberschule gibt?"
"Woher..." begann Alrik. Das "...wisst Ihr, dass ich eine nötig habe?" blieb ihm im Halse stecken. Es spielte keine Rolle. Stürmisch umarmte der Menschenmann die Elfe.
Sein nächstes Ziel würde also Amrunhaven heißen!
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Re: Insel der Abenteuer

Beitragvon Enki » Fr 16 Nov, 2012 16:34

Alrik lernt Sprechen

Die Schreiberschule zu Amrunhaven stellte sich als größeres Institut heraus, das interessierten Bürgern und Zugereisten sogar diverse Lehrgänge in Fremdsprachen offerierte.
Wie weltoffen die Leute hier doch sind, sinnierte Alrik. Anderswo auf der Welt muss man einen festen Wohnsitz und eine Arbeitsstelle vorweisen, um auch nur in bestimmten Tabernas einkehren zu dürfen.
Weltoffen, ja, gönnerhaft, nein. Die Thelesser teilten ihren Wissensschatz zwar bereitwillig mit Fremden, doch blanke Münze wollten sie sehr wohl dafür sehen.
Wie stets unwillig, sich längere Zeit an einen Dienstherren oder Ort zu binden, wechselte Alrik von Gelegenheitsarbeit zu Gelegenheitsarbeit. Er servierte als Schankjunge Bier, betätigte sich als Wäscher, fegte die Straßen, sammelte sogar die Kadaver verendeter Straßenköter ein und schleppte im Hafen schwere Lasten. Er erarbeitete sich einen Ruf als zuverlässige und höfliche Hilfskraft und bald vertrauten ihm die Einheimischen sogar Botengänge innerhalb der Stadt an.
Nur die Arbeit, zu der er am besten taugte, scheute der Südsterner wie der Dämon das Weihwasser: Um keinen Preis der Welt wollte sich Alrik als Übungspartner in der örtlichen Kampfschule zur Verfügung stellen.

Als Alrik auf diese Weise genug Geld zusammenbekommen hatte, meldete er sich in der Schreiberschule an.
Ein Aushang erweckte sein Interesse:

"Lesen und Schreiben lernen & die Ausdrucksfähigkeit erweitern
Jetzt im günstigen Doppelpack buchen!"


Alrik musste die wenigen Zeilen mehrmals lesen, um ihren Sinn zu verstehen. Doch der Preis war günstig, die Zeiten liesen sich mit seinen Arbeiten vereinbaren und so schrieb er sich für das Angebot ein.

Am ersten Unterrichtstag fand sich Alrik pünktlich im Klassenzimmer ein. Er stellte fest, dass außer ihm und dem Lehrer noch niemand weiter anwesend war.
"Licia zum Gruße!" rief der Schüler.
Der Lehrer, ein Mittelreicher in Alriks Alter, erwiderte den Gruß:
"Licia zum Gruße! Lasst die Tür am besten gleich offen."
Alrik gehorchte. Er suchte sich einen Einzeltisch in der vordersten Reihe. Als er bemerkte, dass der Lehrer ein mit etwa zwanzig Namen beschriebenes Blatt Pergament hervorkramte, nannte er seinen Namen: "Ich bin Alricio Fischer. Ich will hier Kaisserreichisch lernen."
"Imperial", korrigierte der Lehrer, während er Alriks Namen auf der Liste abhakte.
"Ja, eben das."
Der Lehrer - er stellte sich als Hanshagen von Denibenhöh vor - musterte seinen Schüler neugierig.
"Imperial für Fortgeschrittene. Sagt, Alricio, Was erwartet Ihr von diesem Kurs?"
Alrik zuckte die Achseln. "Keine Ahnung", gestand er. "Eigentlich kommt es mir komisch vor, hier zu sein. Als solle ich noch mal sprechen lernen!"
Hanshagen wartete. Sein Schüler schien noch mehr auf dem Herzen zu haben.
"Die Tochter meines ersten..." Alrik stockte kurz, hätte er doch beinahe "Besitzers" gesagt. Doch er fing sich noch rechtzeitig und fuhr fort: "...Dienstherren konnte das scharfe und das stumpfe s nicht unterscheiden."
"Das stimmhafte und stimmlose s", unterbrach der Gelehrte seinen Schüler. Er grinste schief, als er seine Unhöflichkeit realisierte. "Oh, entschuldigt bitte, das ist eine lästige Angewohnheit... Erzählt weiter!"
"Ihr Vater hat einen Hauslehrer bestellt, der ihr gezeigt hat, wie sie die Zunge hinter die untere Zahnreihe bewegen muss." Alrik schmunzelte. "Als Kinder fanden wir das lustig, deswegen habe ich mir das gemerkt."

Hanshagen nickte. "Nun, das ist nicht ganz, worum es in diesem Kurs geht. Ihr sollt lernen, eure Muttersprache flexibel einzusetzen, je nachdem, wo ihr hinkommt. Damit meine ich unterschiedliche Kulturen, aber auch die verschiedenen Stände. Denn jeder Mensch in dieser Stadt spricht ein wenig anders, obwohl sich alle derselben Sprache bedienen."
Interessiert folgte Alrik den Ausführungen. Unterdessen fanden sich weitere Schüler ein. Sie nahmen Platz, bemüht, nicht zu viel Lärm zu veranstalten, und lauschten ebenfalls neugierig auf Hanshagens Worte:
"Beispielsweise kann man sagen: Ich verstehe kein Wort, ihr redet so komisch. Oder auch: Verzeiht, Eure Ausdrucksweise dünkt mich befremdlich. Ich vermag Euch nicht zu folgen.
In Wangalen flicht man gern auch mal einen orkischen Ausdruck ein: Sorry, ich verstehe kein Wort! Das erste Wort bedeutet übrigens soviel wie: Entschuldige."
"Die Orks haben ein Wort für Entschuldige?!" entfuhr es Alrik. "Das hätte ich nicht gedacht!"
Hanshagen hob abwehrend die Arme. "Bei den Göttern, nein! Die wörtliche Übersetzung lautet Da bist du jetzt selber schuld dran."
Das klang bereits überzeugender, fand Alrik.
"Und Ihr erklärt uns, wie man es richtig sagt?" hakte ein weiterer Schüler nach.
Hanshagen schüttelte den Kopf. "Alle drei Sätze waren richtig. Je nachdem, mit wem Ihr Euch unterhaltet und was Ihr erreichen möchtet, müsst Ihr Euch für die passendste Variante entscheiden. Vermitteln werde ich Euch das Gefühl dafür und natürlich werdet Ihr auch die verschiedenen Formulierungen von mir lernen."
Hanshagen nickte Alrik zu. "Der Vater Eurer Freundin aus Kindertagen war sicher einflussreich. Er konnte es sich nicht leisten, eine Tochter mit einem Sprachfehler großzuziehen, ohne etwas dagegen zu unternehmen. In seinen Kreisen war es ein Makel, doch in manchen Situationen kann es sogar von Vorteil sein, ein Lispeln oder Stottern vorzutäuschen beziehungsweise sich eines für den eigenen Stand unangemessenen Tonfalls zu bedienen. Als Abenteuerer werdet Ihr viel herumkommen und es mit den unterschiedlichsten Personen zu tun bekommen.
Betrachtet mich einfach als Euren Kampfschullehrer für die Waffengattung des gesprochenen Wortes!"

Hanshagen beendete seine Einführung und ging zur ersten Lektion über. Alrik sah sich unauffällig im Raum um. So mancher der Einwanderer im Raum war ausschließlich an der Sprechpraxis interessiert und bereute es bereits, sich ausgerechnet für diesen Kurs eingetragen zu haben. Einige Mitschüler schienen es sogar anrüchtig zu finden, wie ein Stallknecht sprechen zu lernen oder sich gar der Sprache der edleren Stände zu bedienen, ohne selbst von blauem Blut zu sein.
Doch für einen flüchtigen Sklaven konnte es nichts Besseres geben als Hanshagens ungewöhnlichen Unterricht. Mit jeder Stunde gewann Alrik an Sicherheit, nicht nur, was seine Sprache betraf. Er glaubte nun erstmalig, es vielleicht doch schaffen zu können, seine Freiheit zu bewahren.
Ja, vielleicht hatte er eine Zukunft.
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