In der Tat entließen die Herrschaften den jungen Capitano aus der Besprechung. Sogleich machte Andrea sich auf den Weg zurück nach Alt-Heroida, wo sich auf dem Richtplatz bereits eine große Menschenmenge angesammelt hatte, um der Vollstreckung des Urteils gegen die gefangen genommenen Piraten beizuwohnen.
Andrea fand schnell einen guten Platz in den vorderen Reihen der Marinesoldaten, die sich abseits vom Pulk der Gemeinen versammelt hatten.
Auf dem Schafott standen die siebzehn Piraten, Hände und Füße gefesselt, ungewaschen und in ihren schäbigen Kleidern den Tod erwartend. Hoch über ihren Köpfen baumelten siebzehn Schlingen an einem langen Balken, der das Schafott in seiner gesamten Breite überspannte. Mehrere Trupps Gardisten bewachten den Platz und machten jeglichen Fluchtversuch zunichte.
Während der Richter den Namen jedes einzelnen Piraten verlas samt Anklage und Urteilsspruch bemerkte Andrea, wie jemand aus Gedränge an ihn herantrat. Zu seinem Erstaunen durfte er feststellen, dass es der Admiral der Patriaflotte war.
"Ihr habt mitbekommen, was für ein Chaos in der Führungsriege herrscht, Capitano." raunte Stefano d'Este ihm zu. "Es kann so nicht weitergehen. Die kaiserliche Marine braucht wieder eine ordentliche Führung. Ihr stimmt mir in diesem Punkt mit Sicherheit zu." Ohne eine Antwort von Andrea abzuwarten fuhr er weiterhin in flüsterndem Tonfall fort. "Capitano di Caprone Aureo, ich möchte Euch einen Vorschlag machen."
Der Richter hatte die Urteilsverkündung beendet und während die Piraten nun auf einen Balken geführt wurden, der etwa einen Schritt über dem hölzernen Boden des Schafotts genau unterhalb des Galgenbaumes verlief, trat ein Priester der Nergaskirche vor und sprach ein Gebet. "... und mögest Du ihrer Seelen gnädig sein und sie aufnehmen in deine Hallen, damit sie Läuterung finden und gereinigt werden von den Sünden dieses Lebens..."
D'Este fuhr unbeirrt fort: "Ihr scheint mir ein aufrechter Mann, di Caprone Aureo, und mutig und pflichtbewusst zugleich. Wenn Ihr mich bei der Sache unterstützt, dann sehe ich Euch in naher Zukunft in der Position eines Commodore und wer weiß, in ein, zwei Jahren vielleicht sogar als neuen Admiral der Patriaflotte."
Die Schlingen wurden um die Hälse der Delinquenten gelegt. Ein Trommelwirbel setzte ein. Während die Marinesoldaten still und unbeweglich der Exekution beiwohnten herrschte im Volk die für solche Ereignisse typische Aufgeregtheit. Rufe erschallten, die die Piraten verdammten und allerlei Unrat flog in Richtung des Schafotts. Die Piraten ertrugen alles, was mit ihnen und um die herum geschah, mit stoischer Gleichgültigkeit, so wollte man meinen. Sie hatten mit ihrem Leben abgeschlossen, keiner wusste wie lange schon. Jedem Piraten war klar, dass sein Leben verwirkt war, wenn er in die Hände der kaiserlichen Marine fiel. Gerade das war es, was sie zu so gefährlichen und todesmutigen Gegnern machte. Nun, da ihr letztes Stündlein geschlagen hatte, gab es allerdings keinen Grund mehr sich dem unausweichlichen Schicksal entgegenzustellen.
"Euer und mein Schicksal hängt daran, ob es uns gelingt, diese Plage auszurotten. Wir müssen ihr Nest ausfindig machen. Doch das werden wir nicht mit einem Großaufgebot schaffen. Was wir brauchen ist eine kleine Expeditionsmannschaft, die nicht der Marine zugeordnet werden kann. Tarnung, unter falscher Flagge, Ihr versteht? Vielleicht gelingt es so die Standorte der Piratenstützpunkte ausfindig zu machen, sich bei ihnen einzuschleichen, ihre Geheimnisse auszukundschaften und dann in einer konzertierten Offensive gegen alle ihre Stützpunkte gleichzeitig mit aller Kraft zuzuschlagen. Ich glaube, dass Ihr der richtige Mann für diese Aufgabe seid. Ihr seid jung und noch nicht so lange in der kaiserlichen Marine, dass man Euch überall schon von weitem erkennt. Ihr habt das Zeug dazu diese Unternehmung zum Erfolg zu führen. Was sagt Ihr?"
Der Trommelwirbel verhallte mit einem letzten Schlag, die Stimme eines Tenente erhallte zu einem kurzen Befehl und gleichzeitig bewegte sich der Balken, auf dem die Piraten in Reih und Glied standen, ruckartig nach hinten weg. Alle Siebzehn fielen mit einem Mal ins leere und die Stricke schnitten sich tief in ihre Hälse. Einigen von ihnen brach das eigene Gewicht des Körpers sofort das Genick, andere zappelten eine Weile wie Fische auf dem Trockenen. Das Volk brach in Jubelstürme aus. Wie waren doch alle Menschen gleich! Raubtiergleich ergötzten sich diese ansonsten wohl eher friedfertigen Bewohner der Stadt an den Qualen, die die Exekutierten in diesem Augenblick zu erdulden hatten.
Der Tod kam rasch und hinterlies die üblichen Spuren an den Beinkleidern der Verurteilten, als deren Muskeln ein endgültig erschlafften.
Der Admiral schenkte dem Schauspiel keine Sekunde seiner Aufmerksamkeit. Sein Blick lag forschend auf Andreas Gesicht. Es würde sich zeigen, ob er in der Einschätzung des jungen Capitanos richtig lag.